Von Berlin übers Maracana und Everton bis nach Hamburg

Das ungewöhnliche Fußballer-Leben des Oliver Hähnke

16.06.2017

Der Zufall, so sagt man, schreibt oft die besten Geschichten. Wenn es einen lebendigen Beweis dafür braucht, dann ist Oliver Hähnke einer, der diese Rolle nahezu ideal ausfüllen kann. 52 Jahre alt ist Mann mit dem markanten Gesicht und der Glatze mittlerweile. In Berlin, da wo er in erster Linie lebt, wird ihm schon scherzhaft nachgesagt, er wohne eigentlich auf den Fußballplätzen der Hauptstadt. Der Liebe wegen – seine Freundin lebt in Hamburg – ist Hähnke inzwischen auch auf den Sportanlagen der Hansestadt kein Unbekannter mehr. Wer ihn sieht, der ahnt allerdings nicht, wie viele Zufälle und glückliche Umstände ihm in seinem Leben dank des Fußballs widerfahren sind. Dazu muss er schon weit ausholen und mit seiner Stimme, die hier und da der typische Berliner „Slang“ prägt, erzählen. 

Das Leben des Oliver Hähnke – es ist wahrlich eine verrückte Geschichte. Eine? „Ach was, jede Menge“, sagt er selbst und lacht, „eigentlich könnte man darüber, was ich alles schon erlebt habe, ein Buch schreiben. Ich müsste nur jemanden finden, der das macht. Ich bin kein guter Schreiber, ich kann nur erzählen.“ Und das lang, ausführlich und mitreißend. Wer sich einmal mit dem 1,91 Meter großen und 91 Kilo schweren Hähnke, der sich gewissenhaft fit hält („Ich bin oft der Älteste auf dem Platz, da will ich nicht auch der Dickste sein“), zu einem Gespräch trifft, der muss viel Zeit mitbringen. Zeit zum Zuhören. Und: Wer ihm zuhört, der kommt aus dem Staunen nicht mehr raus, was der Fußball alles so möglich macht. Was für Geschichten er schreibt. 

„Ich habe in Berlin für 27 Vereine gespielt“

„Ich habe in Berlin für 27 Vereine gespielt“, erzählt Hähnke. Und noch bevor der fragende Blick aufkommen kann, warum es so viele Clubs waren, bei denen er als Torwart zwischen den Pfosten stand, liefert er die Antwort quasi fast im gleichen Atemzug noch mit: „Ich bin nicht wegen des Geldes hin und her gewechselt. Mich hat nicht interessiert, ob man hier oder da mehr verdienen kann. Ich wollte immer nur spielen. Wenn ich irgendwo nur noch Nummer zwei war, dann bin ich aus dem Verein ausgetreten.“ Bis hoch zum VfB Lichterfelde in die Oberliga hat er es geschafft – und ist nie wirklich von diesem Sport losgekommen. Selbst vor zwei Jahren, als das Portal „fussball.de“ einen Bericht über Hähnke veröffentlichte, war der damals 50-Jährige noch aktiv. Und das bei drei Vereinen gleichzeitig: bei Hertha 03 Zehlendorf in der Freizeitliga, bei den Senioren der Sportfreunde Johannisthal und im Beachsoccer-Team des FC Beach United.

Beachsoccer in Italien gegen jede Menge ehemalige Profis

Der Beachsoccer nimmt einen großen Teil in der Fußballer-Geschichte des Oliver Hähnke ein. Und er hat ihm die kuriosesten Begegnungen und Dinge beschert. „Ich war 25 Mal in meinem Leben in Brasilien“, berichtet der Hüne, den alle nur „Olli“ nennen, und rechnet nach: „Insgesamt habe ich dort bestimmt fünf Jahre meines Lebens verbracht.“ Ermöglicht hat sich Hähnke das, indem er in den Sommermonaten als Fahrer für einen Eis-Hersteller durchgearbeitet hat. „Ich habe das Geld, das ich verdient habe, gespart und bin im Winter dann nach Brasilien geflogen“, erzählt er. Klar, dass er – Fußballer durch und durch – auch im Land Rekord-Weltmeisters nicht lange ohne Kontakt zum Kicken blieb. „Jede Straße hat dort ihre Strandmannschaft“, verrät Hähnke. Der große Mann aus dem fernen Deutschland durfte mitmachen. Im Tor, natürlich.

Mit Erfolg. Und das nicht nur an den heißen Stränden der Copacabana, sondern auch in Italien. „Da habe ich sieben Jahre lang pro Jahr immer drei Turniere mit einer Mannschaft für Deutschland gespielt – aber nicht als Nationalmannschaft “, sagt Hähnke über die Matches, die zum Teil vor 3500 Zuschauern stattfanden. Seine Gegner? Bekannte Ex-Profis wie Paolo di Canio, Maurizio Ganz, Marco Delvecchio, Angelo di Livio, Gianluca Pagliuca oder Beppo Signori. Im Jahr 1999 bestritt er dagegen für das Beachsoccer-Team Südarfikas zwei Länderspiele. Da es kein offizielles Länderspiel war, konnte er als Deutscher ohne weiteres für eine andere Nation zwischen den Pfosten stehen. „Die brauchten halt noch einen Torwart und haben mich gefragt“, erinnert er sich. Einer dieser vielen Zufälle eben.

Als Keeper im Maracana gegen Zico, Amoroso und Co.

Ein weiterer davon ereignet sich 2008. In Brasilien, dem Land der Seleção, wo Hähnke übrigens in der Saison 1986/1987 beim bekannten Club Fluminense mittrainieren durfte. „Der Torwart-Trainer kannte mich. Die hatten damals sieben Keeper“, offenbart er den Zufall. Aber zurück zu dem aus dem Jahre 2008: Am Strand von Rio de Janeiro wird er von einem der Organisatoren des vom Ex-Weltklassefußballer Zico jährlich ausgerichteten Benefiz-Kicks „Spiel der Sterne“ angesprochen, ob er nicht dabei sein will. „Ich dachte, der meinte als Zuschauer“, so Hähnke, „aber die Antwort war, dass ich im Tor stehen sollte.“ Verrückt, aber wahr. Und so stand Oliver Hähnke tatsächlich ein paar Tage später 45 Minuten lang im berühmten Maracana-Stadion auf dem Rasen. „Das war am 23. Dezember 2008“, weiß Hähnke noch genau, „die haben mich erst gar nicht in die Kabine lassen wollen. Dann kam Carlos Alberto, der früher bei Werder Bremen gespielt hat.“ Der wusste über Umwege, dass der „deutsche Torwart“ in die Katakomben musste.

„Ich bin rein ins Auto, ab in die Kabine und hab mir das Trikot angezogen. Zur zweiten Halbzeit durfte ich ins Tor. Ich habe sechs Dinger bekommen, Drei davon hat Zico gemacht. Wir haben am Ende 3:7 oder 4:7 verloren“, konstatiert Hähnke, der damals gegen namhafte Ex-Profis wie eben Zico, Rivaldo, Roberto Carlos, Bebeto, Careca, Jorginho oder den Ex-Dortmunder Marcio Amoroso („Er hat mit einem Flugkopfball gegen mich getroffen“) spielte. Auch dabei war damals der Formel1-Rennfahrer Felipe Massa: „Das wusste ich erst gar nicht. Darauf haben mich einige Jungs erst ein paar Tage später angesprochen, dass ich gegen einen 'Motorista' gespielt hab. Erst da ist mir klar geworden, dass sie Massa meinten.“

Hähnke war in allen 114 Stadien der ersten fünf englischen Ligen

Die Formel 1 ist eben nicht der Sport des Oliver Hähnke, dessen Fußball-Herz neben Brasilien noch für ein anderes Land schlägt: England. „ich war als Fan in allen englischen Stadien von der Premier League bis runter zur Fünften Liga. Das sind insgesamt 114“, holt „Olli“ zu einer der nächsten großen Geschichten seines Lebens aus. Und als ob dies noch nicht reichen würde, klapperte Hähnke auch noch alle 48 Stadien der ersten vier Ligen in Schottland ab. „Ich habe für alle englischen Teams geschwärmt“, sagt er. Ein Verein aber hat es ihm besonders angetan: der FC Everton. Seit 1995 besitzt er eine Dauerkarte des Vereins, fliegt mehr oder minder regelmäßig auf die Insel. „1985 wurden die nach der Heysel-Tragödie ja fünf Jahre lang von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Everton hatte damals eine richtig gute Mannschaft, Man muss mal überlegen, wo die heute stünden, wenn diese fünf Jahre nicht gewesen wären.“

Und natürlich kann Hähnke auch aus dem „Mutterland des Fußballs“ Anekdoten erzählen. Die, wie er 1989 mit zwei Schweiter Fans zum FA-Cup-Finale reiste, zu dem der ehemalige Referee Gottfried Dienst (er leitete 1966 das WM-Finale zwischen England und Deutschland mit dem legeändären „Wembley-Tor“) die Eintrittskarten besorgen sollte, zum Beispiel.

Seinen Hund hat er nach Ex-Everton-Keeper Neville Southall benannt

Oder die, wie er nach jenem FA-Cup-Endspiel („Das hätte damals beinahe gar nicht stattgefunden, weil es ja zuvor im FA-Cup-Spiel zeischen dem FC Liverpool und Nottingham Forrest die Hillsborough-Katastrophe mit 96 Toten gab“) auf dem Rasen des Wembley-Stadions saß. Und dann wäre da noch eine Geschichte, die sich im vergleichsweise kleinen Braunschweig abgespielt hat: „Ich war früher Eintracht-Fan“, sagt Hähnke, „aber dann hat der damalige Präsident Harald Tenzer Torhüter Uwe Hain rausgeworfen, den ich mochte. Von da an war ich kein Braunschweig-Fan mehr.“ 
Die Liebe zu Brasilien, England und vor allem dem FC Everton ist geblieben. Letztere ist so intensiv, dass Hähnke seinen Hund „Neville“ sogar nach dem Ex-Everton-Keeper Neville Southall benannt ist. Und Neville gehört der Platz ins Hähnkes Herz, der neben Fußball und Freundin noch frei ist: 2015 wurde bei Neville eine Autoimmunerkrankung festgestellt, der Hund kämpfte um sein Leben, musste in eine Tierklinik und bekam starke Medikamente und eine Chemotherapie. „Das alles hat mich viele tausend Euro gekostet. Aber wer mich kennt, weiß, wie sehr ich an meinem Hund hänge.“ Mindestens so sehr, wie am Fußball. Wenn nicht sogar noch ein kleines bisschen mehr. 
Jan Knötzsch