Oberliga

Berauschender Bouveron sorgt für die Charakterfrage bei Cordi!

18. September 2022, 15:25 Uhr

Raoul Bouveron (li.) überzeugte als Doppeltorschütze und ackerte wie verrückt. Hier gelingt ihm das 3:1 nach einem dicken Fehler von Lawrence Schön (Mi.). Foto: noveski.com

Es konnte ihm gar nicht schnell genug gehen. „Warum ist denn jetzt die Uhr stehen geblieben?“, blickte Stilianos Vamvakidis, Liga-Manager des HEBC, in der 63. Spielminute ungläubig in Richtung Anzeigentafel – und schien gar nicht zu fassen, dass erst knapp über eine Stunde am Reinmüller gespielt war. Der süffisante Konter von Lars Meissner, der das Management-Trio der „Veilchen“, dem auch Eduardo Avarello angehört, komplettiert, ließ nicht lange auf sich warten: „Wenn du das mit dem Herzen nicht mehr abkannst, dann geh‘ ins Clubheim. Wir rufen dich an, wenn es 4:1 steht!“ 

Das 0:1: Leon Mundhenk (li.) veredelt einen Heber von Ian Claus (re.) vor Felix Hackstein. Foto: noveski.com

Die Verantwortlichen des zu diesem Zeitpunkt noch sieglosen Tabellenvorletzten sprühten offenbar vor Optimismus. Nur Vamvakidis zweifelte noch ein Stück weit, ob seine Mannen die Zwei-Tore-Führung wirklich ins Ziel retten würden. Der Grund: Die Eimsbütteler gingen unglaublich verschwenderisch mit ihren Kontermöglichkeiten um (alle Highlights im LIVE-Ticker zum Nachlesen). Gleich zweimal hatte Raoul Bouveron nur noch Johannes Höcker vor sich: Einmal eilte Enock Hartwig im allerletzten Moment zur Rettung herbei (64.). Wenig später parierte Höcker sensationell aus kürzester Distanz (68.).

Cordi führt - aber HEBC dreht das Spiel

Raoul Bouveron (Mi.) bejubelt seinen Ausgleichstreffer zum 1:1 - und bekommt auch von Kapitän Janek Wrede Beifall gespendet. Foto: noveski.com

Trotz der vergebenen Chancen avancierte Bouveron zum Matchwinner des „Underdogs“. Erst egalisierte er die Cordi-Führung – Leon Mundhenk drückte das Spielgerät nach einem Chip-Ball von Vedat Düzgüner und einem feinen Lupfer von Ian-Prescott Claus auf der Torlinie stehend aus abseitsverdächtiger Position noch über die Maschen (28.) – nach einem blitzsauberen Spielzug. Freistehend verlud der Ex-Bramfelder nach einem „Diago“ von „Arbeitstier“ Piet Oldag und herausragendem Steckpass von Arisch Butt Cordi-Keeper Höcker trocken (34.). Auch beim 2:1 für den HEBC hatte Bouveron seine Füße mit im Spiel. Einen langen Ball von Janek Wrede legte der Angreifer für Fabian Lemke ab, der im Rückraum Butt sah. Mit dem Außenrist beförderte der für den früh verletzungsbedingt ausgewechselten Tjorven Köhler in die Partie gekommene Joker das Spielgerät aus 15 Metern herrlich ins linke Toreck (47.)!

"Dann muss ich mich fragen, wo die fußballerische Intelligenz ist"

Und Bouveron hatte noch nicht genug. Nach einem kapitalen Schnitzer des völlig indiskutablen Lawrence Schön, der von den Hausherren immer wieder als Schwachpunkt ausgemacht wurde, verwertete der Doppeltorschütze das postwendende Zuspiel von Friedemann Schott – 3:1 (58.)! „Das mit dem nach Außen wegdrehen, das haben wir jetzt schon gefühlt 200 Mal gecoacht. Und wenn das dann so gelöst wird, dass wir den Ball zentral 30 Meter vor dem Tor in die Mitte spielen, dann muss ich mich fragen, wo die fußballerische Intelligenz ist“, fand Cordi-Coach Stefan Gehrke überaus deutliche Worte, nahm seinen Außenverteidiger aber ein Stück weit in Schutz: „Lawrence hat schon einige Top-Spiele gemacht! Das war heute sein erstes richtig grottiges Spiel – das weiß er aber auch selbst. Dennoch muss man sagen: Es lag ja nicht Lawrence, sondern wir haben in der Summe einfach nicht das gespielt, was wir wollten und was wir können. Das hat der Gegner auf den Platz gebracht. Zwar mit einer spielerischen Limitiertheit, aber die haben es clever gemacht und verdient gewonnen.“

Gehrke bemängelt die Einstellung nach der Pause

Ein bedröppelter Seyhmus Atug (2. v. li.) - während Vorbereiter Fabian Lemke (Mi.) den Torschützen zum 2:1, Arisch Butt, herzt. Foto: noveski.com

180 Sekunden vor Ultimo fiel dann auch das für Vamvakidis erlösende und von Meissner heraufbeschworene vierte Tor durch Malte Wilhelm, der eine bärenstarke Vorarbeit von Allan Muto, der Mundhenk an der Seitenauslinie düpierte, aus 15 Metern im Eckigen unterbrachte. 4:1 – ein Ausrufezeichen der Eimsbütteler und eine heftige Abreibung für die mit Regionalliga-Ambitionen ausgestatteten Concorden! „Die haben gekämpft, sind gerannt und hatten die richtige Einstellung“, nahm sich Gehrke seine Mannen im Teamkreis zur Brust.

Anschließend gab er zu Protokoll: „In der ersten Halbzeit haben wir das noch so gemacht, wie wir es machen wollten – nämlich mit Ruhe und gutem Aufbauspiel. Aber in der zweiten Halbzeit war nach dem frühen Gegentor nichts mehr mit Ruhe und Aufbauspiel. Jeder einzelne Spieler muss sich hinterfragen, ob das Oberliga-Spitze ist – oder ob wir eine Mannschaft, ‚wie viele andere‘ sind. Nur dann müssen sich einige im Winter vielleicht einen neuen Verein suchen, weil man dann notfalls reagieren muss.“ Eine klare Ansage!

"Da müssen sich die Jungs hinterfragen, ob sie wirklich alles getan haben"

Die Entscheidung! Malte Wilhelm (li.) veredelt eine Muto-Vorarbeit zum 4:1-Endstand. Steven Lindener kommt zu spät. Foto: noveski.com

Und er legte nach: „Ich sage eigentlich, dass diese Truppe eine irre Qualität hat. Aber wenn man diese dauerhaft nicht auf den Platz kriegt, dann wird es halt schwer. Die Jungs arbeiten schon und sind mannschaftlich mega geschlossen. Das Problem ist nur: Wenn die jungen Spieler die Sachen, die wir vorgeben, nicht adaptieren, dann fangen die erfahrenen Spieler irgendwann auch an. Und wir haben vorher ganz klar gesagt, dass wir auf einen Gegner treffen, der bei Standards und im Umschaltspiel stark ist. Wir müssen einfach und schnell spielen. Wenn wir das mal gemacht haben, waren wir auch an der Box. Aber wenn ich das nur sechsmal in 90 Minuten mache, ist das natürlich deutlich zu wenig! Da müssen sich die Jungs dann hinterfragen, ob sie wirklich alles getan haben.“

"Ich habe Vieles gesehen, was wir trainiert haben"

Im strömenden Regen am Reinmüller zeigte sich Özden Kocadal „überglücklich“ darüber, „dass wir unsere Leistung, die wir am Dienstag gegen den ETV auf den Platz gebracht haben, von der Intensität und der Dynamik her bestätigt haben und unsere Chancen mal effektiv genutzt haben. Nicht alle, aber das wäre Meckern auf hohem Niveau. Und so weit sind wir noch nicht.“ Obwohl er „an der Seitenlinie auch ein Verrückter“ sei, sind seine Jungs „ruhig geblieben und haben die Leistung in einen Sieg umgemünzt – trotz Rückstand“, strahlte der HEBC-Übungsleiter. Auch darüber, dass er „Vieles gesehen“ habe, „was wir trainiert haben. In der Defensive sowieso, aber auch in der Offensive greifen endlich gewisse Mechanismen und Prinzipien, die wir vorgeben. Das ist toll“, sprach er vor allem auf das erste und zweite Tor seiner Mannen an.

Kocadal bleibt "Pessimist von Beruf"

Kollektiver Jubel auf der HEBC-Bank nach dem Wilhelm-Treffer zum Endstand und zum ersten Saisonsieg. Foto: noveski.com

Auf Nachfrage, ob er rundum zufrieden sei oder irgendetwas zu bemängeln habe, entgegnete Perfektionist Kocadal: „Das Gegentor hat mich schon sehr geärgert, weil das so ein typisches Gegentor von uns war.“ Und: „Mir reicht es noch nicht vom Spieltempo und von der Orientierung, was wir als Nächstes machen wollen. Das fehlt mir noch so ein bisschen.“ Dennoch ist man mit dem ersten Sieg nun auch in der Saison angekommen. Oder? „Nein. Ich bin Pessimist von Beruf“, warnte er vor den neun anstehenden Spielen im Oktober. Denn: Auch am Reinmüller laufen die Uhren nicht schneller…

Autor: Dennis Kormanjos

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