Oberliga

25 Jahre Osdorf: „TK9“ appelliert ans Team – doch dann macht Pötzinger den Wahnsinn perfekt

03. Oktober 2020, 00:18 Uhr

BU feiert den ersten Saisonsieg - während Coach Jan Haimerl im Mannschaftskreis die Einstellung seiner Mannen hervorhebt. Foto: Kormanjos

27 Minuten waren am Blomkamp gespielt, als Osdorf-Torhüter Tjark Grundmann kurzzeitig behandelt werden musste. Dies nutzte TuS-Trainer Philipp Obloch dazu, um seine Defensive zu sortieren. Er beorderte Toni Rohrbach, Mehmet Eren und Bennet Krause zu sich – und gab insbesondere dem erstgenannten Offensivduo mit auf den Weg, den Gegner früher und schärfer anzulaufen. Denn nahezu jeder lange Ball der Gäste – insbesondere von Samuel Hosseini und Ronny Buchholz – bereitete der Osdorfer Hintermannschaft erhebliche Probleme (alle Highlights im LIVE-Ticker). Vor allem Niklas Kneller verschätzte sich bei gefühlt jedem weiten Huf der Barmbeker. Das Manko aus Sicht der Haimerl-Kicker Nur eine Chance konnte man in etwas Zählbares ummünzen, als Yannik Lux eine mustergültige Flanke von Samuel Hosseini in die Maschen köpfte (4.).

„Das kann doch nicht wahr sein“, schlug Jan Haimerl die Hände vors Gesicht – und schien bereits Böses zu ahnen. Gerade hatte seine Elf den nächsten Hochkaräter äußerst leichtfertig versiebt und ein weiteres Geschenk der Osdorfer nicht annehmen können, da fand Felix Spranger – praktisch im direkten Gegenzug – mit seinem Freistoß den in der Mitte freistehenden Papa Ndiaye, der vor dem herausstürzenden Johannes Höcker zum 1:1 einköpfte (62.). Der BU-Fänger verletzte sich in jener Szene und schien Schmerzen am Ellbogen zu haben, biss aber auf die Zähne und avancierte in einer unfassbaren Schlussphase zum Matchwinner, als er in der vierten Minute der Nachspielzeit einen Schuss von Tim Jobmann mit einem Riesenreflex aus dem Eck kratzte. Der Rest war Barmbeker Jubel!

Umstrittene Entscheidungen sorgen für Aufruhr

Nach 27 Minuten gab Osdorf-Coach Philipp Obloch (2. v. li.) dem Trio Toni Rohrbach, Bennet Krause und Mehmet Eren taktische Anweisungen mit auf den Weg. Foto: Kormanjos

„Am Ende des Tages zählen nur die scheiß drei Punkte“, brach es aus Haimerl nach Abpfiff heraus. Denn nach dem kassierten Ausgleich und der Ampelkarte gegen Hosseini (76.) sowie dem roten Karton gegen seine Person (Haimerl: „Ich habe gehört, dass jemand hinter mit was gerufen hat. Der Linienrichter hat sich umgedreht, die Fahne gehoben und auf einmal gab’s die Rote Karte“) schien das Momentum umzuschlagen. Doch dann sorgte ein höchst umstrittener Treffer für die erneute Wende: Robin Janowsky bekam das Leder auf der rechten Seite deutlich an den weit vom Körper weg befindlichen Arm, Referee Beyer ließ jedoch weiterlaufen – während der Barmbeker den Ball für Elias Saad auflegte, der eiskalt vollstreckte (82.). Die Osdorfer waren außer sich, monierten das Handspiel. Doch Referee Beyer, der im ersten Abschnitt nahezu jeden Kontakt abpfiff und äußerst kleinliche Gelbe Karten verteilte, während er nach der Pause plötzlich kaum noch etwas ahndete, gab das Tor.

Der finale Punch: Plötzlich Pötzinger

Die Entscheidung? Mitnichten! Die 90. Minute war angebrochen, als ein Einwurf der Hausherren über Umwege vor den Füßen des eingewechselten Kevin Trapp landete. Dieser traf aus 14 Metern – nachdem er unmittelbar vor dem 1:2 noch am Pfosten gescheitert war (81.) – ins linke untere Toreck (90.). Der Rest war purer Jubel! Osdorf schien den ersten Punkt in dieser Saison sicher zu haben – oder sollte in Überzahl doch noch etwas gehen? Von wegen! Stattdessen sorgte ein kapitaler Bock von Prince Hüttner dafür, dass Pascal El-Nemr den jüngsten BU-Neuzugang Julian Pötzinger in Szene setzen konnte. Der 25-Jährige machte den kollektiven Wahnsinn perfekt und schweißte zum 3:2-Sieg für die Gäste ein (90. +2)!

"Nach der absolut und völlig unberechtigten Roten Karte eine mega Genugtuung"

Schiri Max Beyer verlor seine kleinliche Linie nach der Pause und hatte bei beiden Parteien mit sehr strittigen Entscheidungen einen schweren Stand. Foto: Kormanjos

„Die letzten zehn Tage waren weiß Gott nicht einfach – gerade ab dem Tag des positiven Corona-Befundes, was sich natürlich auch auf die Trainingsbeteiligung ausgewirkt hat. Dass die Jungs dann gerade über die Einstellung, und das ist hier das alles entscheidende, das Spiel für sich entscheiden, ist natürlich besonders schön“, strahlte BU-Coach Haimerl nach seinem ersten Oberliga-Sieg als Trainer, den er – nach seinem Platzverweis – vom Hügel hinter der Trainerbank gesehen hat. „Ich weiß gar nicht, ob ich da stehen darf. Aber von da hatte man auf jeden Fall eine bessere Sicht und es macht natürlich doppelt Spaß, die Jungs von da oben jubeln zu sehen. Wer weiß, wo ich eingelaufen wäre, wenn ich noch auf der Bank gewesen wäre“, war er zu Späßen aufgelegt – und fügte mit einem Augenzwinkern an: „Das tut schon gut und ist nach der absolut und völlig unberechtigten Roten Karte eine mega geile Genugtuung. Am Ende fliege ich gerne jede Woche vom Platz, wenn die Jungs dann so eine Einstellung an den Tag legen.“ 


Die Freude war umso größer, da BU zwei Jahre lang nicht gegen Osdorf gewinnen konnte – und: „Ich glaube, Osdorf hat schon ganz oft in der 98. oder 102. Minute gewonnen – da war es auch mal an der Zeit“ für sein Team, so Haimerl, der aber auch eine große Schwäche ausmachte: „Das Nutzen von Torchancen. Man kann nach 25 Minuten problemlos 3:0 führen. Auch nach der Pause haben wir einige 100-prozenter und machen die nicht. Wir waren auf alles vorbereitet und lassen uns dann trotzdem den Schneid abkaufen. Aber so ist Fußball.“

"Wenn du noch in drei Jahren über das Spiel sprechen willst, musst du es gewinnen"

Auch sein Gegenüber fand den Kontrahenten zu Beginn drückend. „Aber dann haben wir irgendwann die Kurve gekriegt, uns reingekämpft ins Match – und in der zweiten Halbzeit fand ich es völlig offen. Hintenraus kippt es gefühlt sogar auf unsere Seite.“ Umso bitterer wären der Ausgang der Partie und die Tatsache, dass man auch nach dem dritten Spiel noch immer mit null Zählern dasteht. „Das tut natürlich weh. Trotzdem war es ein großer Schritt vorwärts im Vergleich zum Niendorf-Spiel“, befand Obloch, der sich vor allem mit einer Frage beschäftigte: „Müssen wir mit allem was wir haben auf das 3:2 gehen?“ Seine Antwort: „Du hast null Punkte, willst dann drei und nicht einen, bist in Überzahl – und wenn du noch in drei Jahren über das Spiel sprechen willst, dann musst du es 3:2 gewinnen. Das haben wir uns in der Halbzeit vorgenommen. Und dann geht man auf Sieg. Das muss nicht jeder so machen, aber das ist unsere Mentalität“, erklärte Obloch, der seinem Spieler Prince Hüttner keinen Vorwurf machte, dass er vor dem 2:3 versuchte, den Ball anzunehmen, anstatt die Kugel einfach aus der Gefahrenzone zu befördern: „Klar ist das ein vermeidbarer Fehler. Aber es ist dann auch die 92. Minute, der Puls liegt bei 180 und wahrscheinlich hat man schon zwei Krämpfe gehabt. Da trifft man keine abgewogene Entscheidung mehr. Trotzdem ist es natürlich ärgerlich und tut weh.“

25 Jahre Osdorf: "TK9" mit besondere Ansage

Nach dem späten Ausgleich herrschte beim TuS Osdorf pure Ekstase - doch dann kam die Nachspielzeit... Foto: Kormanjos

Zudem konstatierte der TuS-Trainer: „Man muss auch mal die Kirche im Dorf lassen. Die verlieren ihr erstes Spiel bei Süderelbe und holen mal eben zwei Mann aus der Regionalliga – während wir einen dritten Torwart und einen Spieler aus der A-Jugend mit in den Kader nehmen müssen. Da muss man schon auch die Relation sehen. Dass die richtig Qualität haben, ist klar.“ Und so ging die Halbzeitansprache, die auf eine Ansage von Torben Krause nach dem Niendorf-Spiel aufbaute, wie Obloch verriet, nur bedingt in die Tat auf. Krauses Worte: „Wir haben hier Schlachten geschlagen – und es wird Zeit, dass mal wieder eine Schlacht geschlagen wird. Dafür müssen wir maximal investieren.‘ Und ich finde es gut, wenn so ein alter Blomkamp-Haudegen nochmal an diese Werte appelliert und das rauskitzelt.“ Ein Haudegen, der zusammen mit seinem Cousin Bennet Krause gerade sein 25-jähriges Vereinsjubiläum gefeiert hat – und das mit 32 Jahren. Werte, die in der heutigen Zeit kaum noch jemand verkörpern kann…

Autor: Dennis Kormanjos

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