Hintergrund-Story

3270 Kilometer in einem Monat: „Wir haben uns angesehen und gesagt: ‚Wir müssen schon bekloppt sein‘“

04. Mai 2020, 14:55 Uhr

Wandsetals Wahnsinns-Läufer: Die Oldies – hier bei einer ihrer Mannschaftsfahrten nach Mallorca. Foto: privat

Not macht erfinderisch. Und das in Zeiten von Corona offenbar noch einmal ganz besonders. Da sie derzeit so wie alle Fußballer in Hamburg weder trainiern noch spielen können, kommen die Altherren-Fußballer des TSV Wandsetal, die gleichzeitig auch als Senioren-Mannschaft des Clubs fungieren, zumindest digital zusammen. In Viedeokonferenzen – so, wie man das in Zeiten von Kontakts-und Abstands-Regeln eben macht, wenn man sich körperlich nicht nah sein, aber trotzdem sehen will. Und mitunter kommt es in diesen Konferenzen dann zu grotesken oder genialen Ideen. So auch bei den „Oldies“ des TSV. Irgendwann Ende März, kurz bevor der neue Monat um die Ecke bog, hatte mit Claas Pinkenburg einer der Spieler die Idee zu einer Challenge, die sich anschließend irgendwie verselbssttändigte, wie uns Mike Breitmeier berichtet.

„Ich hab's im Rücken. Das kommt vom vielen Laufen...“, schmunzelt der 49-Jährige, über lange Jahre als Coach im Hamburger Amateurfußball unterwegs (unter anderem bei Concordia, dem SC Condor, TSV Wandsetal, TuS Aumühle, SC Sperber, SV Börnsen) und derzeit ohne einen Trainer-Job („Ich genieße die Pause immer noch“), zu Beginn des Gesprächs und schlägt damit gleichzeitig auch gekonnt den Bogen zu dem, was sich die Fußballer überlegt hatten. „Wir hatten da diese Videokonferenz, in der Claas Pinkenburg auf einmal auf die Idee kam: Wir brauchen eine Challenge. Und dann hat er vorgeschlagen, dass wir doch den ganzen April über laufen könnten“, erinnert sich Breitmeier zurück. Auch das Ziel, das die ehrgeizigen „Oldies“ erreichen wollten, war schnell formuliert: „Wir wollten 1111 Kilometer als Team laufen“, berichtet Breitmeier. So weit, so gut – doch am Ende sollte es noch viel verrückter werden...

Eintracht Frankfurt und Bayer Leverkusen praktisch davongelaufen

Detlef Ehlers legte mit 333,33 Kilometern die größte Strecke zurück. Foto: privat

„Mit dieser Strecke“, lacht der Ex-Coach, „waren wir aber nach eineinhalb Wochen schon durch. Wir haben das alles mithilfe einer App in Statistiken detailliert festgehalten.“ Und da noch so viel vom Monat übrig war, musste für die 30 (Fußball-)Läufer „im Alter von Mitte 30 nis Mitte 50“ (O-Ton Breitmeier) ein neues Ziel her – das stand außer Frage. Was also tun? „In der Bundesliga gibt’s ja zu fast allem Statistiken. Da haben wir dann die Tabelle der Laufleistungen der einzelnen Mannschaften in der bisherigen Saison genommen und uns den Spaß gemacht, dass wir gesagt haben: Wir nehmen die Kilometerzahl, die die Mannschaft auf dem 18. Platz in dieser Tabelle hat – und das war dann unser neues Ziel.“ Fortan schwebte also die Zahl 2744 Kilometer über den Altherren- und Senioren-Kickern der Wandsetaler. „So viele Kilometer hat Eintracht Frankfurt als Letzter in dieser Liste auf dem Konto“, erklärt Breitmeier uns im Gespräch. Das neue Motto lautete also „Jeder läuft für Frankfurt“. Irgendwie fast schon logisch im Verlauf dieser – zugegeben positiv – verrückten Idee: Auch diese Leistung knackten die Kicker des Trainer-Teams Michael Kröger und Stefan Mandelkau beinahe spielend.

Detlef Ehlers legt als fleißigster Läufer 333,33 Kilometer zurück

Enorm gesteigert: Die Laufleistungen im Gesamtüberblick. Foto: privat

„Es gab einen Sonntag, da haben wir, wenn man die Läufe aller Spieler, die an diesem Tag für sich gelaufen sind, zusammenzählt, als Mannschaft über 300 Kilometer an einem Tag geschafft“, freut sich Breitmeier rückblickend und berichtet zudem von einer weiteren Begebenheit, die sich im Zuge der Umsetzung der Idee von Claas Pinkenburg ergab: „Wir haben mit Toni Merker jemanden in der Truppe, der aktuell aus gesundheitlichen Gründen nicht so viel aktiv machen konnte. Er hat insgesamt selbst nur 1,3 Kilometer laufen können, hat vor diesem einen Tag aber gesagt, dass er für jeden gelaufenen Kilometer der anderen einen Euro bezahlen würde. Am Ende musste er 357 Euro zahlen. Das Geld geht erst einmal in unsere Mannschafts-Kasse.“ Einmal im „Flow“ erwuchs bei den „Rennern“ des TSV sogar das Vorhaben, „dass unser Co-Trainer Stefan Mandelkau Frankfurts Manager Fredi Bobic kontaktieren wollte. Das Ganze ist dann aber irgendwie im Sande verlaufen“, verrät Breitmeier, der hinzufügt: „An dem Sonntag vorm 30. April hatten wir nur noch 25 Kilometer, bis wir Frankfurts Laufleistung erreicht haben. Klar, dass wir das tags darauf am Montag dann geschafft haben.“

Breitmeier: „Wir sind alle super stolz auf das, was wir erreicht haben“

Toni Merker war gesundheitsbedingt nur an einem Tag aktiv, zahlte aber dafür zwischenzeitlich pro gelaufenem Kilometer seiner Teamkollegen einen Euro. Foto: privat

Es musste also eine neuerliche Zielkorrektur her – und was liegt näher, als nicht nur den Letzten der Bundesliga-„Laufleistungs-Tabelle“ mal eben zu überflügeln, sondern auch noch den Spitzenreiter dieses Klassements zu „überrennen“. „Erster in dieser Wertung ist Bayer Leverkusen. Die haben so rund 250 Kilometer mehr gelaufen als die Eintracht“, konstatiert Breitmeier. Eine Zahl, die der TSV Wandsetal nochmal übertraf. „Am Ende sind wir insgesamt 3270 Kilometer als Mannschaft gelaufen“, freut sich der 49-Jährige, der selbst an 18 Tagen im April unterwegs war und es auf 137,92 Kilometer brachte. „Am letzten Abend bin ich sogar nochmal kurz raus, weil derjenige, der in der Tabelle hinter mir lag, mich überholt hatte. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen“, grinst Breitmeier. An den Spitzenwert aber kam er nicht heran: Detlef Ehlers war mit 333,33 gelaufenen Kilometern der Mann, der die größte Strecke abriss. Ein paar weitere kurze Zahlen: Nachdem das Team in der ersten Woche 595 Kilometer „unter die Beine“ nahm, waren es allein in der vierten Woche 1127 Kilometer – was im Vergleich 116 Läufe in besagter Woche (erste Woche: 82 Läufe) macht. Bei der durchschnittlich pro Woche absolvierten Zahl steigerte man sich von 7,25 auf 9,71 Kilometer. „Wir sind alle super stolz auf das, was wir erreicht haben, aber am Ende haben wir uns natürlich auch angesehen und uns gesagt: ‚Wir müssen schon bekloppt sein‘...“, so Breitmeier abschließend.