Landesliga Hansa

Auch „N’Golo Kante“ reicht nicht aus: „Wir dürfen das Ding nicht nur nicht verlieren, sondern müssen ganz klar als Sieger vom Platz gehen!“

08. Mai 2023, 11:00 Uhr

Der SC Condor feierte auf dem neuen Kunstrasenplatz am Berner Heerweg einen sehr glücklichen 3:2-Erfolg zum Saisonabschluss gegen HT 16. Foto: Kormanjos

In dem Atemzug, als er nach den richtigen Worten suchte, zog sich Drago Eikermann den unmittelbar neben ihm postierten Söhren Grudzinski zur Hilfe: „Kannst du mir ein, zwei Tipps geben, wie ich das, was hier gerade passiert ist, richtig wiedergebe?“, fragte der Co-Trainer von HT 16 den Liga-Manager des SC Condor, der daraufhin tief und schwer durchatmen musste. Eikermann: „So geht‘s mir auch gerade. Ich sehe, wir sprechen die gleiche Sprache.“ Was er damit ganz konkret meinte? „Letztendlich dürfen wir das Ding nicht nur nicht verlieren, sondern müssen hier ganz klar als Sieger vom Platz gehen!“

Der einstige Naturrasenplatz am Berner Heerweg erstrahlt nun in neuem "künstlichen" Grün. Foto: Kormanjos

Doch damit war das kleine und süffisant sowie mit einem Augenzwinkern gemeinte Scharmützel längst noch nicht beendet. „Die schießen vier- oder sei es meinetwegen auch fünfmal auf das Tor. Davon landen drei Dinger im Netz“, konstatierte Eikermann, ehe Grudzinski postwendend entgegnete: „Wo hast du denn die Fünf hergeholt?“ Eikermanns trockener Konter: „Der Kopfball vor dem Abstauber zum 3:2. Das sind zwei Torschüsse“, witzelte der „Co“ des Aufsteigers. „Wenn wir hier am Ende mit 5:1 oder 6:1 vom Platz gegangen wären, hätte das den Spielverlauf und das Chancenverhältnis widergespiegelt. Aber leider war es nicht so.“

HT mit Torwart als Linksverteidiger

Da Fußball-Abteilungsleiter und Interimstrainer Ahmet Sahin im Urlaub weilt, half Drago Eikermann im letzten Saisonspiel als Cheftrainer bei HT 16 aus. Und zu Beginn musste man aus Sicht der Gäste das Schlimmste befürchten – zumal mit Martinique Hoffmann ein Torwart als Feldspieler aushelfen musste. Aber: Der „Linksverteidiger“ machte seine Sache bis zur kräftemäßig bedingten Auswechslung in der 72. Minuten sehr gut! Und damit zurück zu den Anfangsminuten, als Marcel Perz unmittelbar nach Anpfiff bereits ein ordentliches Pfund abfeuerte, das Faruk Müller gerade noch über den Querbalken lenkte (1.). Doch schon die nachfolgende Ecke von Marko Tadic führte zum ersten zählbaren Erfolg: Top-Torjäger Kevin Ferchen schädelte gänzlich unbedrängt ein (2.)!

Kruse schimpft zur Pause wie ein Rohrspatz

Condor-Captain Ken Niederstadt unterlief ein kapitaler Bock, der zum 1:1 führte. Kurz vor Schlüss bügelte der Innenverteidiger seinen Schnitzer wieder aus und staubte zum Sieg ab. Foto: noveski.com

Sollte der HT im abschließenden Saisonspiel ein echtes Debakel drohen? Mitnichten! „Nach dem frühen Gegentor hat sich die Mannschaft super gefangen“, befand Eikermann, dessen Mannen sich in das Spiel hineinbissen, von Minute zu Minute stärker wurden, erste gute Möglichkeiten durch Caleb Awuah (10., 15.) vergaben und sich dann aber doch belohnten. Ein schier unfassbarer Aussetzer von Ken Niederstadt, der einen Querpass im eigenen Sechzehner in die Füße von Awuah spielte, führte zum Ausgleich. Zwar scheiterte der HT-Angreifer noch an Norman Volber – aber Umut Kocin hatte schließlich keine Mühe mehr, das Runde ins Eckige zu bugsieren (16.)!

Der Bock vom Kapitän der „Raubvögel“ war ein wenig bezeichnend für den Gesamtauftritt der Kruse-Kicker in den ersten 45 Minuten. HT hatte die bessere Spielanlage, die besseren Chancen – und hätte mit einer Führung in die Pause gehen müssen! Das sah auch Condor-Coach Andre Kruse so, versammelte seine Schützlinge noch vor dem Gang in die Kabine auf dem Platz und schimpfte wie ein Rohrspatz. Ein Auszug: „Wir laufen wild durch die Gegend! Ruhig bleiben, nichts Neues erfinden!“ Später erklärte er: „Ich musste ja irgendwie alles probieren. Da weißt du auch irgendwann gar nicht mehr, was du noch sagen sollst. Nur mit Anbrüllen und Angröhlen erreicht man eine Mannschaft ja auch nicht. Ich weiß nicht, was da los war“, rätselte Kruse. Doch um es vorweg zu nehmen: Es wurde nicht besser. Kein Stück!

"Kühlen Kopf bewahren, Rübe hochnehmen und querspielen"

Der Gast von der Legienstraße erspielte sich Chance um Chance, Hochkaräter über Hochkaräter. Vor allem Emrah Ates und Awuah, aber auch Dieter Forkert, der kurz vor Ultimo wegen Nachreten die Rote Karte sah (87.), überboten sich im Auslassen absoluter Top-Chancen. Oft stand den „Eikermännern“ auch der Eigensinn im Weg. „Wenn es sich über die ganze Saison hinwegzieht, dann ist das vielleicht das fehlende Selbstbewusstsein und diese unbedingte ‚Erzwingen wollen‘. In den Momenten müssen wir einfach kühlen Kopf bewahren, die Rübe hochnehmen und querspielen“, forderte der Interims-Chef, dessen Schützlinge spielten und drückten. Das Tor fiel aber auf der anderen Seite, als Tadic die Kugel von links eben quer passte, Ferchens Abschluss wohl noch auf der Linie abgeblockt wurde und Timo Adomat wuchtig vollstreckte – 2:1 (67.)!

"Kanté" krönt Leistung, Niederstadt macht Fauxpas wett

HT-Kapitän Russell Quainoo zeigte eine ganz starke Leistung - und krönte diese mit dem Treffer zum 2:2. Am Ende reichte es aber nicht für etwas Zählbares. Foto: noveski.com

Aber vor allem ein Mann stemmte sich gegen die drohende Niederlage: Russell Quainoo! Der „Captain“ der HT räumte hinten ab, wurde von seinen Mitspielern am Seitenrand als „N’Golo Kanté“ gefeiert und krönte seine überragende Darbietung nach dem dritten Ballgewinn binnen 60 Sekunden, als er sich mit purer Überzeugung in die Offensive einschaltete, einen Doppelpass mit dem eingewechselten Tyran Ortega, der technisch fein weiterleitete, spielte und sehenswert abschloss (83.)! Was für ein Spielzug und welch ein Wille von Quainoo!

Es folgte jedoch der rote Karton gegen Forkert und der darauffolgende Freistoß führte zum „Lucky Punch“ der Hausherren: Tadic brachte das Spielgerät scharf vors Tor, wo Kevin Vieira Santos hochstieg und Müller dessen harmlosen Kopfball nicht festhalten konnte. Niederstadt machte seinen Fauxpas vor dem 1:1 wieder gut und staubte zum 3:2-Sieg ab (88.)! „Das spiegelt die ganze Saison wider“, haderte Eikermann nach dem äußerst unglücklichen Ausgang.

"Das ist nicht unsere Entwicklung und auch nicht unser Anspruch"

Eine starke Vorstellung im letzten Saisonspiel. Aber eine Chancenverwertung, die "die ganze Saison widerspiegelt", so HT 16-Co-Trainer Drago Eikermann. Foto: Kormanjos

Das Fazit von Kruse: „Es war eine lange Saison und ein schwieriger Umbruch. Da muss man das auch mal so hinnehmen. Jetzt gilt es, den Kopf freizukriegen und dann wieder neu durchzustarten.“ Allerdings machte er auch keinen Hehl daraus, dass jener Auftritt „nicht unsere Entwicklung und auch nicht unser Anspruch“ sei. „Der sieht ganz anders aus. In den Spielen davor war eine ganz andere Spannung da. Ich kann das auch nicht so ganz nachvollziehen. Ich erwarte einfach auch von der Mannschaft – und das ist dann vielleicht auch diese Reife, die noch fehlt –, dass man beim Klick wieder ‚on point‘ ist. Ich will nicht sehen, dass wir unser Spielsystem nicht durchdrücken.“ Und dennoch gab’s zum Saisonabschluss einen (sehr glücklichen) Dreier zu bejubeln…

Autor: Dennis Kormanjos