Die Komplexität der Dinge

Nachwuchsförderung beim FC St. Pauli / von Dirk Becker

16. Februar 2013, 13:10 Uhr

Maroder Charme am Eingangstor des NLZ.

Im Juli vergangenen Jahres wurde das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) des FC St. Pauli vom DFB mit drei Sternen ausgezeichnet – dem Höchstwert, womit die Braun-Weißen in dieser Hinsicht auf einer Stufe mit den Schwergewichten der Branche wie Schalke und Bremen stehen. Die FussiFreunde besuchten Alexander Eick, den Organisatorischen Leiter der Einrichtung, und gingen der Frage auf den Grund, was hinter der Talentschmiede steckt.

Jedem Ende wohnt ein neuer Anfang inne, heißt es in einem Vers von Hermann Hesse. Es ist rund zwölf Jahre her, als die deutsche Fußballnationalmannschaft bei der EM 2000 in Belgien und den Niederlanden nach kränklicher Darbietung und mit nur einem Punkt auf dem Konto in der Vorrunde die Segel strich. Wüst war das mediale Echo, groß der Ärger bei der Anhängerschaft.

Als Konsequenz räumte nach großem öffentlichem Druck nicht nur DFB-Trainer Erich Ribbeck seinen Stuhl, sondern es wurden auch weitereichende Reformen der Juniorenausbildung in die Wege geleitet. Von der Saison 2001/2002 an mussten alle Klubs der Bundesliga über Nachwuchsleistungszentrum verfügen, ein Jahr später war dies auch für die Vereine der 2. Bundesliga verpflichtend.

Viel Zeit ist seitdem vergangen, die Nationalelf hat sich längst wieder gefangen. Seit Jahren bringen die Bundesligisten hoffnungsvolle Talente hervor, die sich zu etablierten Profis entwickeln und im Idealfall später auch für die Deutsche A-Auswahl spielen.

Joachim Philipkowski blickt auf eine Profivergangenheit zurück. Foto: KBS-Picture.de

„Unser Ziel ist es, jedes Jahr mindestens einen Profi hervorzubringen“, sagt Alexander Eick und verweist auf die Komplexität dieses Unterfangens. „Wenn ich sagen könnte, was das Wichtigste ist, was ein Spieler braucht, um Profi zu werden, hätte ich einen einfachen Job. Manchmal reicht eine außergewöhnliche Fähigkeit und der unbedingte Wille, sich zu verbessern und alles für den Traum vom Profi geben wollen. Aber am Ende gehört auch das nötige Glück dazu, einigermaßen verletzungsfrei zu bleiben“, meint der 31-Jährige, dessen Arbeitsplatz sich in am Brummerskamp in Hamburg Eidelstedt befindet.

Auf dem idyllisch gelegenen Gelände, eingebettet in bester Wohnlage, ist der studierte Betriebswirt Eick zuständig für die Leitung der administrativen Belange. Die Gesamtleitung des NLZ fällt in die Hände des ehemaligen St. Pauli-Profis Joachim Philipkowski (51). „Er ist ein unglaublich loyaler Mensch und ein sehr guter Trainer. Seine tolle Arbeit sieht man derzeit in der A-Junioren Bundesliga. Er hat enorm viel Erfahrung, Sachverstand und das nötige Gespür für seine Mitmenschen und Spieler“, betont Eick, dessen Team sich darüber hinaus aus einem weiteren sportlichen und einem pädagogischen Leiter zusammensetzt.

Fünf Scouts, vier hauptamtliche, 25 nebenamtliche Trainer und je drei Torwart- und Athletiktrainer sowie ein Psychologe komplettieren den Stab. Und nicht zuletzt finden sich im Aufgabengebiet „Unterstützung“ weitere Funktionäre wie Betreuer, Pädagogen und Physiotherapeuten wieder. Trainiert wird auf fünf Plätzen (viermal Kunstrasen) auf insgesamt drei Sportanlagen. Zudem verfügt der Verein über ein Jugendtalenthaus, das sechs Plätze für Jugendliche ab 16 Jahren bereit hält.

„Wir mussten woanders die Schrauben drehen“

Feudal indes sind die infrastrukturellen Begebenheiten beim Kiezklub keinesfalls, was allein der Blick in die Büroräume der NLZ-Leitung beweist. In provisorischen Containern sind die Mitarbeiter gegenwärtig untergebracht. Ein Neubau der Nachwuchsschmiede an der Kollaustraße, wo sich auch das Trainingsgelände der Profis befindet, ist längst beschlossene Sache. „Infrastrukturell ist das bei anderen Vereinen noch ein ganz anderes Level“, befindet auch Eick. Umso erfreulicher sei es, dass St. Pauli bei der Zertifizierung dennoch so gut abgeschnitten habe.

„Wir mussten woanders die Schrauben drehen“, meint der A-Lizenzinhaber und verweist auf die inhaltliche Gestaltung der Ausbildung, die vom DFB als überdurchschnittlich gut bewertet wurde. Unterm Strich erhielt der Stadtteilklub, der von den Abgesandten des Verbandes in einem aufwendigen Verfahren auf Herz und Nieren überprüften wurde, 69 Prozentpunkte und die Optimalauszeichnung mit drei Sternen. 2007 war man nach den alten Katalogskriterien noch gänzlich leer ausgegangen. 2011, nachdem die Regularien immens verschärft worden waren, verpasste man die Auszeichnung mit einem Stern noch haarscharf.

Im Nachzertifizierungsverfahren, das für alle Beteiligten einen immensen Aufwand bedeutete, schaffte man schließlich das Traumergebnis. Der finanzielle Lohn für die Anstrengungen ist beträchtlich. Zu den 85.000 Euro pro Saison, die DFB und DFL ohnehin an jeden Profiverein für die Nachwuchsförderung ausschütten, gibt es pro Stern denselben Betrag obendrauf. Zusätzlich wird die Talentförderung von der internen Abteilung „Fördernde Mitglieder“ subventioniert.

„Die Kooperationsbereitschaft seitens der Schule ist sehr hoch“

Zieht die administrativen Fäden: Alexander Eick. Foto: KBS-Picture.de

Jugendliche auszubilden heißt auch soziale Verantwortung zu übernehmen. Was für Unternehmen ein Selbstverständnis sein muss, gilt im gleichen Maße auch für einen Fußballverein. Denn: nur die allerwenigsten Nachwuchsspieler schaffen tatsächlich den Sprung ins Profilager. „Die Einbeziehung der Eltern als wichtigster Bezugspunkt des Spielers ist für unsere Arbeit elementar“, heißt es in den Leitlinien des St. Pauli-Nachwuchskonzepts.

Regelmäßig stehen daher Gespräche und Informationsveranstaltungen auf der Tagesordnung. Karriere-, Finanz- und Rechtsberatung heißen nur ausgewählte Stichwörter. Mit der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV) hat man jüngst eine neutrale Beratungsgröße für diese Belange hinzugezogen.

Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist die Kooperation mit der Julius-Leber-Schule, die seit 2004 mit dem Club zusammen arbeitet. Aktuell drücken 25 St. Pauli-Spieler in Schnelsen die Schulbank. Gewisse Fehlzeiten wegen Training oder Auswärtsbegegnungen sind da unabdingbar.

„Die Kooperationsbereitschaft seitens der Schule ist sehr hoch“, konstatiert Eick, der hervorhebt, dass verpasster Unterrichtsstoff stets nachzuholen ist. Ein netter Nebeneffekt für die Lehranstalt: Im vorigen Jahr gewannen die Schnelsener in Brasilien die Weltmeisterschaft der Schulen. Zweidrittel der Mannschaft, die gegen den Iran den Titel holte, stammte aus der Gilde des FC St. Pauli.