Oberliga-Meisterrunde

Ein „emotionaler“ letzter Ritt: „Crille“ ist „sehr berührt“ – Niendorf wird trotz 75-minütiger Unterzahl gekürt!

30. April 2022, 19:22 Uhr

Tobias Grubba (Mi.) hielt am Ende die Null für den Niendorfer TSV fest. Foto: Bode

Als er ein (vorerst) letztes Mal vor dem Anpfiff aus der Kabine kam, über den Rasenplatz am Sachsenweg marschierte und schnurstracks auf Ali Farhadi zuging, reagierte der Trainer des Niendorfer TSV mit einer mehrfachen Verbeugung. Kaum verwunderlich, dass Christian Woike – unter den Augen von einigen ehemaligen und langjährigen Weggefährten – mit den Emotionen zu kämpfen hatte. Um Punkt 16 Uhr war die Zeit von „Crille“ als Trainer in der Oberliga (erst einmal) beendet – da ertönte nämlich der Abpfiff von Referee Johannes Mayer-Lindenberg (alle Highlights im LIVE-Ticker).

Ein (wohl) einmaliges Trainer-Gespann: Christian Woike (li.), der zum letzten Mal auf der Bank des SVCN Platz nahm, und Torsten Henke, der die verbleibenden Spiele coachen wird. Foto: Bode

Nachdem zunächst Torsten Henke, der mit Woike ein kongeniales Gespann bildete, im anschließenden Mannschaftskreis das Wort übernahm, richtete in der Folge der scheidende Chefcoach noch einige Sätze an das Team. Spätestens in dem Moment übermannte es Woike. „Das ist schon sehr emotional und geht mir auch sehr nah“, machte er keinen Hehl aus seiner Gefühlswelt. „Es war ja ein Stück weit Lebensinhalt. Und ich habe das immer gerne gemacht, Spieler zu entwickeln und zu verbessern – auch ein Stück von mir, meiner Persönlichkeit und meiner Menschlichkeit weiterzugeben. Deshalb ist es schon ein harter Cut. Aber der ist selbst gewählt. Und es gibt in der Welt gerade deutlich schlimmere Schicksale.“

"Heute hatten wir das Vergnügen, so ein Spiel mal gemeinsam zu coachen"

Bereits nach seinem ersten Abschied als Trainer von der Fußballbühne beim SC Condor sagte Woike: „Nur wer geht, kann wiederkommen. Und so ist es auch. Ich werde dem Sport, der Stadt und auch dem Hamburger Amateurfußball auf jeden Fall verbunden bleiben. Dafür habe ich auch zu viel gekriegt und durfte so viele tolle Menschen kennenlernen. Das Handy stand seit letzter Woche nicht still. Das hat mich sehr berührt – auch die Worte, die gewählt wurden.“ Ein letztes Mal also, nahm Woike auf dem Trainerstuhl Platz – und das an der Seite von Curslack-Legende Torsten Henke. „Wir haben als Spieler gegeneinander gespielt, als Trainer ganz viele Duelle gehabt – und dass immer freundschaftlich und in einer tollen Atmosphäre. Nun hatten wir heute das Vergnügen, so ein Spiel mal gemeinsam zu ‚coachen‘. Das war schon sehr emotional. Natürlich ist sein Abgang für uns als Verein ein Verlust. Aber er hat beruflich eine große Möglichkeit und Chance bekommen. Deshalb sehe ich das mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, so „Henko“.

"‚Crille‘ ist ein cooler Typ!"

Schon nach sechs Minuten erzielte Michael Gries (3. v. re.) das goldene Tor des Spiels. Foto: Bode

Und auch NTSV-Übungsleiter Ali Farhadi wird seinen Gegenüber vermissen: „Man hat das Gefühl, dass man eine sehr lange Zeit etwas zusammen gemacht hat, obwohl man eigentlich weit entfernt voneinander, aber gefühlt Nachbar ist. ‚Crille‘ ist ein cooler Typ! Und auch wenn er so groß ist, war das mit ihm immer alles auf Augenhöhe. Er hat seine Mannschaften immer ‚Bombe‘ eingestellt und es war immer eine Freude, gegen seine Mannschaften zu spielen. Ich wünsche ihm alles Gute und habe ihm auch schon gesagt, dass ich mir die Marketingzahlen bei Hannover 96 genau angucken werde“, scherzte Farhadi. Angesprochen darauf, entgegnete Woike mit einem Augenzwinkern: „Er hat viel gelernt von mir.“ Beispiel: „Vor dem Dassendorf-Spiel habe ich ihm das Zitat des Tages in den Mund gelegt, dass man in so einem Spiel Fan von seiner eigenen Mannschaft werden kann.“

"Das Spiel ist so losgegangen, wie wir es unbedingt vermeiden wollten"

Der starke Malik Yago (li.) im Duell mit Özgür Bulut. Foto: Bode

Und damit zum sportlichen Teil: „Was der Hamburger Fußball-Verband mit uns macht, ist Körperverletzung!“, monierte Curslack-Manager Oliver Schubert bereits im Vorfeld die Ansetzungen von Seiten des HFV. Die Partie beim Niendorfer TSV war für die „Deichkicker“ das vierte Spiel in sieben Tagen! Der letzte Auftritt beim SC Victoria (2:1) lag keine 42 Stunden zurück. Dementsprechend pfiff der SVCN aus dem allerletzten Loch. Auf der Bank: Der 48-jährige Lars Franke. Und auch der Start ins Spiel war auch denkbar ungünstig. Schon nach sechs Minuten konnte Gianluca Babuschkin einen strammen Schuss von Michael Gries nicht mehr entscheidend entschärfen – 0:1 aus Curslack-Sicht! „Das Spiel ist so losgegangen, wie wir es unbedingt vermeiden wollten“, hatte Henke die Befürchtung, dass sich der Kraftverlust noch bemerkbar machen würde.

Zarei sieht früh Rot - Niendorf über 75 Minuten in Unterzahl

Mit seinen 48 Jahren feierte Lars Franke aufgrund der äußerst angespannten Personallage beim SVCN sein Comeback und gab in der Nachspielzeit noch zwei Abschlüsse ab. Foto: Bode

Doch dann spielte Hassan Zarei den arg gebeutelten und geschlauchten Gästen mit einem überharten Einsteigen gegen den durchgestarteten Pascal El-Nemr in die Karten. Nach Beratung mit seinem Assistenten zückte Referee Johannes Mayer-Lindenberg den roten Karton (14.)! Sowohl die Härte des Foulspiels als auch die Tatsache, dass Zarei keine Chance hatte, den Ball zu spielen und El-Nemr von hinten umsenste – da war Rot die logische Folge. „Ich habe draußen gesagt: Jetzt sind die Kräfteverhältnisse wieder einigermaßen gleichgestellt. ‚Olli‘ Schubert meinte aber: ‚Nein, dann müsste noch einer runter‘“, verriet Henke. 


Und wie sah Farhadi den frühen Platzverweis? „Die Rote Karte hat bei uns für ein ‚Break‘ im Spiel gesorgt. Danach ging ja gar nichts mehr. Das war einfach doof und hat uns komplett durcheinandergebracht. Ich fand, dass es grenzwertig war. Der Schiri sagt, er wäre durch gewesen und hätte eine Torchance kreieren können. Und ich will mich nicht mit den Schiris anlegen. Wenn die das so interpretieren, dann ist das halt so.“

Curslack müht sich - aber: Doppeltes Alu-Pech

Sebastian Spiewak (re.) - hier im Duell mit dem Siegtorschützen Gries - hatte mit zwei Kopfbällen Pech und war stets ein Unruheherd bei Standards. Foto: Bode

Curslack wehrte sich in der Folge nach Leibeskräften. „Wir haben alles investiert und in die Waagschale geworfen“, befand auch Henke – und lobhudelte sein Team: „Ich muss der Mannschaft für das, was sie in dieser Woche am Dienstag, Donnerstag und heute abgeliefert hat, ein Riesen-Kompliment machen!“ Einziges Manko: Das Runde wollte nicht ins Eckige. Corvin Behrens zielte freistehend zu ungenau (36.). „Wir müssen jetzt irgendwann mal einen machen, damit wir das Zweite noch machen können“, zog Schubert in der 67. Minute die Lacher auf seine Seite. Aber auch Vincent Janelt (46.) und der vorne stets gefährliche Innenverteidiger Sebastian Spiewak (90. +1) scheiterten an der Latte. Da Tim Philipp Krüger zudem zweimal auf der Linie rettete und Tobias Grubba einen Sahnetag erwischte, schaukelten die in Kontersituationen unheimlich fahrig agierenden Hausherren den knappen Sieg über die Zeit.

"Einen Punkt hätten wir auf jeden Fall verdient gehabt!"

Nach dem Spiel nahm Christian Woike (li.) emotional Abschied von seiner Mannschaft - hier von Kapitän Corvin Behrens. Foto: Bode

Woikes erste Worte nach Schlusspfiff: „Grundsätzlich tut mir die Mannschaft heute richtig leid! Auch wenn wir in Überzahl waren, aber nach dem Programm in dieser Woche fand ich es schon außergewöhnlich, wie sich die Truppe heute präsentiert hat. Und ich finde, einen Punkt hätten wir auf jeden Fall verdient gehabt. Charakterlich haben wir ein super Spiel gemacht!“ Selbst Farhadi meinte: „Hut ab vor dem, was die heute nach dieser Woche geleistet haben. Aber normalerweise kannst du Curslack schon früher in die Richtung bringen, dass das Spiel heute nichts für die wird, wenn du die Konter besser ausfährst. So hältst du das Spiel bis zum Schluss spannend. Aber: Wir wollten gewinnen. Das haben wir getan. Die Art und Weise war ein bisschen holprig, aber uns ging es darum, den zweiten Platz zu verteidigen.“ In Richtung Tabellenspitze wird indes nicht mehr geschielt: „Dassendorf wird ja nicht mehr verlieren. Da muss man ehrlich sein. Wenn wir am Ende Zweiter werden, ist das für uns schon ein Riesenerfolg“, bilanzierte Farhadi.

Aber beinahe hätte Curslack dem aktuellen Primus dazu verholfen, schon am Dienstagabend im Nachholspiel gegen den TSV Buchholz 08 alles klarmachen zu können. Allerdings nur beinahe. Der in der Schlussminute eingewechselte Lars Franke hatte sogar noch zwei Schussgelegenheiten – wohlgemerkt mit 48 Jahren – und den Ausgleich auf dem Schlappen. Aber es sollte nicht sein in Woikes Abschiedsspiel. Mit dem 43-Jährigen geht der Hamburger Amateurszene ein echter Typ und Sympathieträger verloren – aber eben nur räumlich. Mit welchen Emotionen „Crille“ den Hamburger Raum verlassen wird, hat er uns bereits unmittelbar vor dem Spiel im großen Video-Interview verraten.

Autor: Dennis Kormanjos