Holsten-Pokal

Pokal-Wahnsinn an der „Kreuze“: Diegos Derbystreiche reichen nicht, weil „Jerry“ unfassbar aus der eigenen Hälfte trifft!

07. November 2021, 16:54 Uhr

Grenzenloser Jubel bei Jeremy Miljevic (Mi., leicht verdeckt) nach seinem unfassbaren Geniestreich von der Mittellinie. Foto: Olaf Both

„Wir sind gar nicht reingekommen, waren völlig unterlegen und wirkten total erdrückt – sowohl von der Physis als auch von der Mentalität“, konnte Daniel Lopez dem Auftritt seiner Schützlinge im Pokal-Derby der Zweit-Herren-Mannschaften zwischen seinem FC Teutonia 05 und Altona 93 (alle Highlights im LIVE-Ticker zum Nachlesen) kaum etwas Positives abgewinnen. „Altona hat das toll gemacht“, lobte er den Lokal-Nachbarn. Und spätestens nach dem zweiten Gegentreffer kurz nach der Pause musste auch der Teutonen-Trainer eingestehen: „Wir waren eigentlich erledigt“, wusste er, „dass es jetzt sehr kritisch wird“. Doch dann geschah schier Unglaubliches…

Diego Berendsohn (re.) feiert seinen Treffer mit dem kleinen AFC-Fanblock. Foto: Olaf Both

„Es war klar: Wir brauchten dieses eine Tor“, hoffte Lopez nach dem 0:2 noch auf ein kleines Hallo-wach-Erlebnis. Auf einen Weckruf, der sein Team nochmal aus der Lethargie würde. Und der Coach der Teutonia-Zweiten bekam genau dieses Erlebnis – und zwar in Person von Jeremy Miljevic. Nicht nur einmal, sondern gleich in dreifacher Ausführung – und wie! Erst schlenzte der „Zehner“ der Teutonen einen 18-Meter-Freistoß aus linker Position mit Hilfe des rechten Innenpfostens unhaltbar ins lange Eck (72.). Dann zirkelte Miljevic einen Eckball auf den Kopf des kurz zuvor eingewechselten Akif Islamoglu. Das Leder klatschte an die Latte und wurde von Terry Sarpong sowie einem Altonaer Abwehrbein über die Linie gedrückt – 2:2 (84.)! Der Beginn einer unfassbaren Schlussphase…

"Man darf in so einer Situation nicht verkopfen"

Diego Berendsohn (re.) düpiert Lasse Gloistehn und schießt zum 2:0 für die Gäste ein. Foto: Olaf Both

Während die „Kreuzkirchler“ in Jubelstürme ausbrachen, schlug die Reserve des AFC postwendend zurück – und das quasi im direkten Gegenzug. Die bärenstarke Liga-Leihgabe Diego Berendsohn setzte von rechts den einrückenden Piet Verbeck in Szene. Dieser schloss aus 16 Metern mit dem ersten Kontakt formschön ab – 3:2 AFC II (85.)! „Jungs, es hat sich nichts geändert. Vorher brauchten wir ein Tor zum Sieg, jetzt ein Tor zum Elfmeterschießen“, rief Lopez seinen Mannen zu. Hinterher erklärte er: „Letzten Endes kommt dann so eine Mentalität: Jetzt ist es eh egal und du hast eh nichts mehr zu verlieren. Und dann pusht man sich nach vorne. Man darf dann nicht verkopfen in solch einer Situation. Wir wollten ja eh auf Sieg spielen – auch nach dem Ausgleich.“

Miljevic' Kunstschuss aus der eigenen Hälfte sorgt für Elfer-Drama

Überhaupt keine Abwehrchance für AFC II-Keeper Maximilian Schroeder beim Freistoß von Miljevic, der zum 1:2-Anschluss im Netz einschlägt. Foto: Olaf Both

Doch mit dem, was dann passierte, konnte auch Lopez nicht rechnen. Sein Team führte den folgenden Anstoß nach dem Gegentor kurz aus – und plötzlich zauberte Jeremy Miljevic ein unvorhergesehenes Ding aus dem Ärmel. Genauer gesagt: Aus dem Mittelkreis. Denn der 24-Jährige sah offenbar, dass Gäste-Keeper Maximilian Schroeder zu weit vor seinem Gehäuse stand und beförderte das Spielgerät über den Torsteher hinweg ins Teutonen-Glück (87.)! „So ein Tor macht man nur, wenn man vor Selbstvertrauen strotzt“, urteilte Lopez. Während AFC II-Coach Jakob Sachs unmittelbar nach dem Einschlag seinen sprichwörtlichen Hut zog und in Richtung Teutonia-Bank fragend unkte: „Hat er den Wind mit einkalkuliert?“

"Eine doofe Idee bleibt eine doofe Idee - auch wenn's klappt"

Anschließend verriet Lopez, dass er in der Besprechung vor dem Spiel „tatsächlich genau das thematisiert“ habe, „dass wir als Mannschaft quasi einen Rahmen setzen, wie wir spielen und auftreten wollen. Jeder Spieler muss seine Aufgabe ausfüllen.“ Dabei habe er aber auch klar gesagt: „Trotzdem bleibt eine doofe Idee eine doofe Idee – auch wenn‘s klappt.“ In Bezug auf Miljevic‘ Geniestreich sei das „eine so doofe Idee gewesen, die aber super geklappt hat. Deshalb kann ich da jetzt nichts zu sagen. Das ist natürlich ein Sensations-Tor!“

AFC-Liga-Leihgabe Berendsohn mischt Teutonia auf

Unbändiger Jubel bei Akif Islamoglu (re.) nach dem Treffer zum 2:2-Ausgleich. Foto: Olaf Both

Ein Treffer, der alles zuvor Gewesene vergessen machte. Denn zunächst schien es so, als würden zwei Tore in der 47. Spielminute das Lokal-Derby in der Vierten Runde des Holsten-Pokals zu entscheiden – wenngleich zwischen beiden Treffern einige Zeit ins Land strich. Klingt ein wenig merkwürdig, war aber so. Denn: Während die Führung der Gäste in der zweiten Minute der Nachspielzeit im ersten Durchgang fiel, dauerte es keine 120 Sekunden, bis es im zweiten Abschnitt erneut im Teutonen-Tor klingelte. Und beide Male war AFC-Liga-Leihgabe Diego Berendsohn zur Stelle: Erst direkt vor dem Pausentee aus 18 Metern mit Übersicht nach toller Vorarbeit von Renas Meise (45. +2), dann nach starkem Zuspiel von Max Duckart, als der Youngster den indisponierten Lasse Gloistehn spielend düpierte (47.).

"So ist Fussi: Alle von uns treffen - nur 'Jerry' nicht"

Im direkten Gegenzug gelingt Piet Verbeck (li.) die erneute AFC-Führung - 3:2 für die Gäste an der "Kreuze". Foto: Olaf Both

Auch am dritten Altonaer Treffer war der Ex-ETV-Youngster Berendsohn mit dem Pass auf Verbeck direkt beteiligt. Da die Hausherren mit Miljevic einen ähnlich produktiven Spieler in den Reihen hatten, musste das Elfmeterschießen die Entscheidung bringen. Und dort mutierte Miljevic mit seinem Fehlschuss – AFC II-Fänger Schroeder parierte – zunächst zum Unglücksraben. „So ist ‚Fussi‘: Alle von uns treffen – nur Jerry nicht, der vorher noch von der Mittellinie getroffen hat“, so Lopez, der damit schon ansprach, dass Niclas Spranger, Mika Zimmermann, Akif Islamoglu und schließlich auch Semir Begovic ihre Hausaufgaben machten. Da beim Gast ausgerechnet Verbeck, dessen Versuch den Querbalken „küsste“, und Luke Lauenburg, der an Jakob Schnelle hängenblieb, die Nerven versagten, hatten die Teutonen ein verloren geglaubtes Pokalspiel noch gedreht und durften kollektiv jubeln.

Miljevic kriegt "auf den Deckel" - und zeigt eine Reaktion

Doch dann zaubert Jeremy Miljevic dieses unfassbare Ding aus dem Hut und trifft aus der eigenen Hälfte über Schroeder hinweg ins Teutonen-Glück. Foto: Olaf Both

„Ich glaube, manchmal brauchen wir das einfach. Völlig unnötig für den Trainer, der dadurch mal wieder um ein paar Jahre gealtert ist. Aber um mich soll es nicht gehen“, musste Lopez dennoch erst einmal durchschnaufen. „Wir hatten das tatsächlich schon ein paar Mal – unter anderem in der Ersten Runde gegen St. Pauli III, als wir 1:3 zurückliegen, eigentlich erledigt waren und am Ende noch 4:3 gewinnen. Deshalb war vielleicht auch noch dieser Geist in der Mannschaft drin.“

Und eben auch ein Spieler, der zwischen Genie und Wahnsinn hin und her pendelt. „Jeremy ist der Spieler, der den Unterschied macht“, konstatierte auch Lopez, „und trotzdem hat er kein gutes Spiel gemacht“, scherzte er. „Man merkt ihm an, dass er aufgrund einer aus meiner Sicht unberechtigten langen Sperre noch nicht wieder so drin ist. Aber er hat das Zeug, die entscheidenden Dinger zu machen. Der Freistoß war brutal. Die Ecke war auch stark getreten. In der ersten Halbzeit kamen die nicht so gut, da hat er von mir noch einen auf den Deckel bekommen. Denn er zeigt dann immer eine Reaktion.“

"Die Mentalität, die wir in der ersten Halbzeit nicht hatten"

Der Schlusspunkt eines unglaublichen Pokal-Dramas: Semir Begovic schießt die Teutonen-Reserve in die nächste Runde. Foto: Olaf Both

Ein Attribut, dass die gesamte Mannschaft der „Kreuzkirchler“ in en zweiten 45 Minuten an den Tag legte. „Da ist es in unsere Richtung gekippt – und ein Spiel geht eben 90 Minuten. Vielleicht haben wir in dem Moment die Mentalität. Aber die mussten wir dann auch haben, weil wir sie in der ersten Halbzeit kein Stück hatten“, fand Lopez sehr ehrliche und gleichzeitig auch lobende Worte – denn: „Ich hätte nicht gedacht, dass Altona so stark auftreten wird. Das haben sie super gemacht – und das hätte ich auch gesagt, wenn‘s andersherum ausgegangen wäre.“ Doch schlussendlich war das Elferglück eher auf Seiten der Hausherren…

HIER gibt's alle Bilder zum Derby-Wahnsinn in der Galerie!

Autor: Dennis Kormanjos