Der Absturz einer Nummer drei

Der Hummelsbütteler Kader der Saison 1984/85. Foto: Archiv Wetzner

Dies ist eine wahre Geschichte. Sie beginnt im Spätsommer 1974 auf einer Einöde auf Hamburgs Fußball-Landkarte, der staubigen roten Asche eines Sportplatzes am Grützmühlenweg. Der Hummelsbütteler SV hat es gerade fertig gebracht, die unterste hamburgische Spielklasse als Tabellenletzter zu beenden. Nur zwei Klubs – Namen werden nur auf begründete Nachfrage heraus gegeben – haben noch weniger geschafft als zehn Punkte. Der Altonaer Fußballclub von 1893 ist gerade in Hamburgs höchster Spielklasse mit hängender Zunge als Fünfter ins Ziel gewankt, der 1. SC Norderstedt hat den Aufstieg in den Elb-Olymp, besser vielleicht Fußball-Süllberg, um drei Punkte verpasst.

Aber Hummelsbüttel und angrenzende Stadtteile sind auch bevorzugte Wohngegenden für Besserverdiener. Peter Bartels, als Immobilienmakler zu Geld gekommen, lebt hier. Hemdsärmelig beginnen Bartels und sein Manager Klaus „Coppy“ Beck, das Rad der Fußball-Geschichte ungesund zu beschleunigen. Vier Jahre brauchen die beiden „Macher“, um den „kleinen HSV“ in Hamburgs höchste Spielklasse zu hieven. Die Spielzeit 1978/79 wird die einzige bleiben, in der die beiden diesjährigen Pokalfinalisten und der Emporkömmling aus Hummelsbüttel in einer Liga aufeinandertreffen.

Der HuSV füllt Seite auf Seite im großen Buch der Fußball-Geschichte, wie nur wenige Klubs vorher und nachher. Es gibt in Deutschland nur einen einzigen Verein, der eine noch ausgedehntere Berg- und Talfahrt erlebt hat: Der SV Alsenborn aus der Nähe Kaiserslauterns, der zwischen 1968 und 1970 dreimal Meister der Regionalliga Südwest wird und dreimal als Dritter der Aufstiegsrunde nur knapp den Sprung in die Bundesliga verpasst. Einer seiner bekanntesten Haudegen ist übrigens ein gelernter Schornsteinfeger. Walter Frosch wird kurz darauf zum festen Inventar des hamburgischen Fußballs gehören. Wer den pfälzischen Dorfklub heute sehen möchte, muss sich schon in die A-Klasse Kaiserslautern-Donnersberg bequemen.
1980 werden die „Hummeln“, so die phantasievolle Schöpfung des Print-Boulevards, unter Trainer Werner Thomsen erstmals hamburgischer Meister. Die Mannschaft ist mehr und mehr zu einem Gnadenhof altgedienter Ex-Profis wie den beiden ehemaligen St. Paulianern Harald Münster und Wolfgang Wellnitz geworden. Aber sie schaffen es immer noch, so hoch zu springen wie sie müssen und steigen in die Amateur-Oberliga Nord auf. Hamburg hat nun neben dem FC St. Pauli, dem SC Concordia und BU einen vierten Drittligisten.
Allerdings mit einem schlechten Timing. Der DFB hat die Einführung der eingleisigen zweiten Liga beschlossen, Rang 13 reicht nicht zum Verbleib in der Amateur-Oberliga, Hummelsbüttel muss zurück in die Verbandsliga.

„Kleiner HSV“ trägt seinen Namen nicht zu Unrecht

In den beiden folgenden Jahren scheitert der HuSV als hoher Favorit in der Aufstiegsrunde. Das stachelt den Ehrgeiz Bartels‘ und seiner Helfer ebenso an wie es ihren Realitätssinn zunehmend vernebelt. Das Spielzeug soll ohne Rücksicht auf Verluste in der dritten Liga mittun. Der „kleine HSV“ trägt seinen inoffiziellen Namen nicht zu Unrecht: Mit Horst Blankenburg, Peter Hidien und Georg Volkert gehörten drei Ex-Profis des „wahren HSV“ zum Kader, auch der Rest kann sich sehen lassen: Dirk Andresen, Holger Brügmann, Jens Duve, Peter Kilian, Thorsten Lüneburg, Manfred Mannebach, Flemming Nielsen gehören im Laufe der Jahre dazu, Eugen Igel hat inzwischen Peter Rohrschneider als Trainer abgelöst.
Gezaubert werden soll und darf natürlich nicht mehr am Grützmühlenweg, später etwas respekteinflößender Hummelsbütteler Hauptstraße. Die Retortentruppe wird zwischen den Kultstätten hamburgischer Traditionsvereine herumgereicht: dem Stadion Alsterdorf des SC Sperber, dem Rothenbaum, der Steilshooper Straße bei BU oder der Hoheluft.
Im Sommer 1984 haben es Bartels und seine Gefolgsleute endlich wieder geschafft: Zwei Punkte vor dem AFC, hamburgischer Meister und der zweite Aufstieg in die Amateur-Oberliga Nord. Der 1.SC Norderstedt hat sich als Landesliga-Zweiter wieder in die Verbandsliga gehievt.

Die nun folgenden beiden Spielzeiten suchen ihresgleichen. Zunächst ein zweiter Platz für die Hummelsbütteler, einen Punkt hinter dem VfL Osnabrück. Im dörflichen Hummelsbüttel riecht es nach 2.Bundesliga. „Es wäre so leicht gewesen, in diesem Jahr aufzusteigen“, grämt sich Trainer Igel noch Jahre später. Seine Mannschaft beendet die Aufstiegsrunde ins Profiparadies als Letzter hinter den beiden Aufsteigern Osnabrück und Tennis Borussia sowie Rot Weiss Essen und Eintracht Hamm.
Offensichtlich beginnt es Bartels zu dämmern, dass auch seine Geldmittel endlich sind. Er verliert das Interesse an seinem Spielzeug. Nach dem Ende der Aufstiegsrunde setzt er seine erstmals Ende 1982 geäußerte Absicht in die Tat um und steigt aus. Der HuSV glaubt, vorgesorgt zu haben – bis zum 6. November 1986. An diesem Tag wird die Pleite offensichtlich. Der Klub sorgt für eine Premiere in der Oberliga: Erstmals zieht sich ein Verein aus dem laufenden Spielbetrieb zurück. „Wir haben zu gutmütig und vor allem zu gutgläubig gehandelt. Wir hatten ja einen schriftlichen Sponsorenvertrag über 60.000 Mark. Nur: Der Mann, mit dem wir den abgeschlossen hatten, besitzt keinen Pfennig“, begründet Hummelsbüttels Vorsitzender Bernd Riedel das Ende mit Schrecken. Im Hinspiel haben sich der HuSV und der AFC noch 0:0 getrennt, ein Rückspiel gibt es nicht mehr.

Bruchlandung endet in der Kreisklasse

Diesem Fiasko ist eine weitere Premiere vorausgegangen: Seit mehr als einem Vierteljahr haben die Spieler nicht mehr die vereinbarten „Aufwandsentschädigungen“ erhalten. Aus diesem Grund schaltet die Mannschaft um ihren damaligen Kapitän Jens Fette einen Rechtsanwalt ein, um insgesamt 30.000 Mark einzuklagen. Daraufhin werden alle Beteiligten umgehend aus dem Verein ausgeschlossen. Übrig blieben ganze vier Oberliga-Akteure, an eine geordnete Fortsetzung des Drittliga-Abenteuers ist unter diesen Umständen natürlich nicht mehr zu denken. Auf einer extra anberaumten Verbandssitzung stimmen die ehemaligen 17 Konkurrenten dem Rückzug des „kleinen HSV“ zu, Regressansprüche sind damit vom Tisch.

Während die Bruchlandung des Hummelsbütteler SV in der Kreisklasse endet, spielen Altona 93 und der 1. SC Norderstedt von 1987 bis 1993 gemeinsam in der Amateur-Oberliga Nord. In der ersten Spielzeit der neu geschaffenen Oberliga Hamburg/Schleswig-Holstein kommen die beiden Klubs anschließend punktgleich ins Ziel, Norderstedt steigt im Sommer 1995 aufgrund des um elf Treffer besseren Torverhältnisses in die Regionalliga auf.
Die ewige Frage nach der Nummer drei in Hamburgs Fußball wartet aber weiterhin auf eine dauerhafte Antwort. Auch die beiden damaligen Regionalligisten SV Lurup und VfL 93 finden sie nicht und bezahlen früher oder später für ihre Abhängigkeit von einem Sponsor. Erst Eintracht Norderstedt – 2003 aus der ehemaligen Fußball-Abteilung des 1. SC Norderstedt hervor gegangen – scheint seit dem unverhofften Aufstieg 2013 nach der Lizenzrückgabe des eigentlichen Aufsteigers FC Elmshorn – eine tragfähige Basis geschaffen zu haben. Oder doch Altona 93? Zumindest scheint sich dort die Meinung durchgesetzt zu haben, wenigstens genügend Wagniskapital beisammen zu haben.