Jede Menge Gesprächsstoff

Der FC Süderelbe als hamburgischer Vizemeister 1989. Fotos: FC Süderelbe

Selbst im eigenen Umfeld hielten sich Frust und klammheimliche, manchmal sogar offene Freude über die verpasste Chance die Waage, aus dem Rest Hamburgs gesellte sich teils offene Häme hinzu. Da hatte ein mit nicht unerheblichen finanziellen Mitteln ausgestatteter Emporkömmling schon seinen Startversuch zum Überflug an die Wand gefahren. Nichts war es mit dem Aufstieg in die dritte Etage des deutschen Fußballs im Sommer 1989, der FC Süderelbe unter Trainer Bernd Enge, hamburgischer Vizemeister, musste noch ein weiteres Jahr mit der Verbandsliga Vorlieb nehmen.

Nun, ganz so einfach verhielt es sich mit dem Emporkömmling nun auch wieder nicht. Die Vergleiche mit dem nach einem fremdfinanzierten Höhenflug bis in die Amateur-Oberliga Nord in die Kreisklasse abgestürzten Hummelsbütteler SV hinkten doch gewaltig. Aber die Erinnerung war so frisch wie die Ängste akut, seit dieser kapitalen Bruchlandung waren gerade einmal zwei Jahre vergangen.

Die ausgekübelte Häme hatte dennoch ihren Grund: Der FC Süderelbe und die HSV-Amateure hatten vor dem abschließenden Spieltag der Verbandsliga punktgleich an der Spitze gelegen, die Mini-Rothosen mit der deutlich besseren Tordifferenz auf ihrer Seite. Aus welchem Grund auch immer war der Hamburger Fußball-Verband von seinem ehernen Grundsatz der zeitgleichen Austragung zumindest aller entscheidenden Partien des letzten Spieltags abgewichen. Dem FC Süderelbe wurde der Genuss-Klassiker „sonntags morgens auf dem Reinmüller“ ermöglicht. Das 0:0 beim HEBC wurde mit einer, sagen wir mal, nicht von allen Experten erwarteten Aufstellung erkämpft. Enge, der 1977 als Trainer zum FC Süderelbe gekommen war, verzichtete auf seinen Stammkeeper Jens Fette, Kreso Kovacec wurde erst in der 70. Minute eingewechselt, stattdessen durften einige Langzeitverletzte nach überstandenen Blessuren ihren ersten Spielversuche auf dem beinharten Grandplatz mit Landebahn-Qualität machen. „Es ist schon komisch, wenn man mittags erfährt, dass man Meister geworden ist“, kommentierte Horst Eberstein, der damalige Manager der HSV-Amateure das maßgeschneiderte Ergebnis. Wer wollte ihm da widersprechen.

Hässliche Szenen beim Aufstiegsduell

Stürmer-Talent und Trainer-Guru: Lothar Dittmer und Ernst Happel Hand an Hand mit ihrem liebsten Spielzeug.

Maßgeschneidert? Immerhin hatten die Neugrabener damit den Titelgewinn vergeigt. Dahinter wurde allgemein ein rein betriebswirtschaftliches Kalkül vermutet. Enge, seit 1980 auch 1. Vorsitzender des Vereins, und sein Manager Kay Gosebeck landeten so mit ihrer Mannschaft in der finanziell wesentlich interessanteren Aufstiegsgruppe mit dem TuS Esens, Kickers Emden und dem VfB Lübeck. Zumindest finanziell ging die Rechnung auf: Zu den Heimspielen pilgerten zwischen 1.500 und 2.000 Zuschauer auf den Opferberg. Das zumindest von Einigen angepeilte sportliche Ziel wurde jedoch verfehlt, den Sprung in die Amateur-Oberliga Nord schaffte der TuS Esens, Dritter aus Niedersachsen.

Ganz andere Sorgen prägten das Aufstiegsduell Süderelbes gegen den VfB Lübeck. Ein Großteil der Lübecker Anhänger war bereits damals als politisch rechtslastig bekannt. So war es nicht verwunderlich, dass ihnen gerade von den vielen im Einzugsgebiet Süderelbes lebenden Migrantenkindern ein entsprechender Empfang bereitet wurde. Schon während der Partie trennte ein Großaufgebot der Polizei die Gruppen, nach Spielende gelang das zunächst nicht. Es kam zu schweren Ausschreitungen, in deren Folge ein Lübecker Fan nach einem Messerstich in den Bauch mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden musste.

Den sportlichen Betriebsunfallschaden versuchte das Tandem Enge/Gosebeck in der folgenden Saison zu reparieren. 1980 war der FC Süderelbe in die Landesliga aufgestiegen, hatte in den Jahren danach unter den Trainern Rudi Heil, Peter Domagalla, Kuno Böge und Karl-Heinz Baureis aber nicht den insgeheim gewünschten Erfolg. 1984 hatte Enge erneut auch die sportliche Verantwortung übernommen und in Zusammenarbeit mit anderen Sponsoren und Gosebeck eine Mannschaft aufgebaut, die für den Rest des Jahrzehnts in Hamburg für Furore sorgen sollte.
Zu ihr gehörten nicht weniger als vier kommende Bundesligaprofis: Marinus Bester, Lothar Dittmer, Kreso Kovacec und Klaus Ulbricht.

1990 hatten sich die Vorzeichen allerdings schon grundsätzlich gewandelt. Tricksereien an der Tabellenspitze waren schon lange vor Saisonende Makulatur. Der hamburgische Meister VfL Stade mit dem späteren St. Pauli-Profi Dirk Dammann stand früh als Titelträger fest, hatte am Ende 15 Punkte Vorsprung auf die Neugrabener. Die waren im Geiste aber schon keine Neugrabener mehr. Bereits vor Beginn der Aufstiegsrunde stand fest, dass sowohl das Tandem Enge/Gosebeck als auch der Großteil des Kaders zu Bergedorf 85 wechseln würde. Beim FC Süderelbe dürfte die Erleichterung über den erneut verpassten Aufstieg überwogen haben, diesmal hatte Eintracht Nordhorn die Nase vorn.

Von Frust oder Häme jedoch keine Spur

Einheitliche Trikots waren noch Mangelware, dafür waren die Hosen sorgfältig gebügelt: Der Vorgängerverein des FC Süderelbe, Fortuna Neugraben 1945.

Die Karawane war also weitergezogen, hatte aber keine ausgetrocknete Oase hinterlassen. Der FC Süderelbe hatte, besonders nach dem Bau der Großsiedlung Neuwiedenthal zwischen 1959 und 1977, immer von seiner herausragenden Jugendarbeit leben können. Seine Wurzeln lagen in Bestrebungen, kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einen Fußballverein zu gründen. Sowie Fortuna Neugraben aus der Taufe gehoben worden war, versuchen die wenigen Mitglieder, die beiden ansässigen Vereine Hausbruch-Neugrabener Turnerschaft und TV Fischbek, für eine Fusion zu gewinnen. Die HNT zeigte sich nicht sonderlich begeistert, der TVB gestattete immerhin den Anschluss als Fußballsparte nach der ersten gespielten Saison 1945/46.

Glücklich wurden die Kicker dort nicht, zusammen mit der Fußballsparte der HNT gründeten die ehemaligen Fortunen am 28. Februar 1949 dann den FC Süderelbe. Bis 1950 wurde auf dem Sportplatz bei der Schutzhütte gespielt, nach seiner Eröffnung auf dem Jägerhof, seit September 1974 auf dem neu errichteten Opferberg.

Im Spätsommer 2014 hat sich nicht nur auf dem Opferberg, der zu einer schmucken Kunstrasen-Anlage mit Klubheim geworden ist, einiges verändert. Seit Monaten liefert die Ligamannschaft unter Trainer Jean-Pierre Richter zuverlässig Gesprächsstoff für Hamburgs Amateurfußball. Von Frust oder Häme jedoch keine Spur. Der Stoff, aus dem die Gespräche sind, besteht überwiegend aus Anerkennung oder wohlwollendem Interesse. Der Aufbau einer jungen Mannschaft durch einen jungen Trainer, ihr Aufstieg in Hamburgs höchste Spielklasse und ein sich anschließender fulminanter Saisonstart haben Eindruck hinterlassen.

Darüber hinaus soll der Opferberg durch ein neues Jugendkonzept, von Trainer Thorsten Haase verantwortlich umgesetzt, im Jugendbereich langfristig zu einer Hausnummer der zweiten Reihe hinter dem HSV und FC St.Pauli gemacht werden. „Vielleicht ist unter den Jungs irgendwann ein Nationalspieler“, traut sich Richter sogar zu träumen. Natürlich helfen dabei auch nicht unerhebliche finanzielle Mittel, aber von der Abenteuerlust der späten 1980er Jahre ist man weit entfernt.