Oberliga Hamburg
8. Spieltag


FC Alsterbrüder

7

:

2


SC Victoria Hamburg

Anpfiff

Di - 12.09. 19:30 Uhr

Spielstätte

Walter-Wächter-Platz

Zuschauer

200

Schiedsrichter

Dominik Kopmann (FC Eintracht Norderstedt)

Oberliga

Vom „kleinen Bruder“ gedemütigt: Vicky „entfacht die Hölle“ – Unfassbarer Duve sorgt für Alsterbrüder-Rausch!

Lennart Duve (Mi.) bringt die Alsterbrüder früh in Front. Am Ende gehen vier Buden und eine direkte Vorlage auf sein Konto! Foto: Matthias Wenner/SCV

Vor zehn Jahren (Saison 2013/14) trennten beide Mannschaften noch vier Spielklassen. Während der SC Victoria Hamburg am Ende vergeblich um den Verbleib in der Regionalliga Nord kämpfte, entkam der FC Alsterbrüder knapp dem Abstieg aus der Kreisliga. Während der so lange funkelnde Stern des großen Muttervereins langsam an Glanz verlor, stieg der „kleine Bruder“ massiv empor. In der Saison 2015/16 schafften die Alsterbrüder mit einer zu Beginn äußerst beeindruckenden Zu-Null-Serie den Sprung in die Bezirksliga – und setzten damit den Startschuss für den unheimlichen Aufschwung des „kleinen, gemeinnützigen Fußballvereins“ aus Eimsbüttel. Dass Gelb-Blau nicht mehr nur der kleine, aufmüpfige Bruder ist, wurde auf den Tag genau vor zwei Jahren das erste Mal deutlich: Mit 7:5 nach Elfmeterschießen kegelten die atemberaubenden Alsterbrüder den einst so glorreichen SCV aus dem Pokal. In der laufenden Spielzeit war für die Elf von Trainer Jörn Großkopf aber schon in der Anfangsrunde Endstation. Gegner: Der SC Victoria (0:2).

Luca Drude (re.) ging mal wieder als Arbeitstier voran - und bereitete den frühen Führungstreffer mustergültig vor. Foto: Matthias Wenner/SCV

War die Kluft vor Jahren noch schier unendlich groß, agieren beide Teams nun auf absoluter Augenhöhe – zumindest was die Liga-Zugehörigkeit angeht. Achter Spieltag im Hamburger Oberhaus – und zum ersten Mal hieß es auf Punktspielebene: Gelb-Blau vs. Blau-Gelb – oder auch FC Alsterbrüder vs. SC Victoria Hamburg. Und es wurde zu einem wahrlich denkwürdigen Aufeinandertreffen (alle Highlights im LIVE-Ticker)!

Als er elf Zeigerumdrehungen vor dem Ende seinen hochverdienten Abgang bekam, brandete nicht nur tosender Jubel im Fanlager der Alsterbrüder auf und Sprechchöre mit seinem Namen wurden angestimmt. Noch bevor Co-Trainer Peter Gößler den alles überragenden Lennart Duve herzte, verbeugte er sich vor dem Mittelfeldspieler des FCA. Eine große Geste, die Duve etwas unangenehm schien. Auf Nachfrage bei Cheftrainer Jörn Großkopf, wie er die Leistung des 23-Jährigen gesehen haben, entgegnete dieser: „Das haben wir ja alle gesehen.“ In der Tat. Duve avancierte zum „Man of the Match“ und stach aus einer geschlossenen Mannschaft der Alsterbrüder heraus. „Lennart Duve ist ein Spieler, der so viel an und in den Füßen hat. Das ist echt unfassbar! Den kannst du nur schwer vom Ball trennen. Wenn er noch richtig fit wäre, das wäre ein Wunder – aber dann würde er auch nicht hier spielen“, witzelte Großkopf.

Duve eröffnet, Erdal trifft den Pfosten - Vicky übernimmt

Luca Plazer (li.) vergab in der Druckphase der Gäste die große Ausgleichschance für Vicky. Foto: Matthias Wenner/SCV

Bereits nach acht Minuten hätte es 2:0 für den Außenseiter stehen können, stand es aber nicht, weil Mert Erdal mit seinem trockenen Schuss aus halbrechter Position die Qualität des rechten Torpfostens prüfte (8.). Aber: Die Führung hatten die Alsterbrüder zu diesem Zeitpunkt bereits inne, weil Lennart Duve eine Vorarbeit von Luca Drude zu veredeln wusste. Am Sechzehner stoppte der „Blondschopf“ das Leder, legte es sich von dem rechten auf den linken Schlappen und schoss aus 13 Metern flach zum 1:0 ein (6.)!

Nach Erdals Pfostenknutscher wenige Augenblicke später rüttelte Vicky-Coach Joshua Krause seine Mannen von der Seitenlinie lautstark wach. Und sein Team fand in der Folge mehr Zugriff, hatte durch Levin Erik die Ausgleichschance – am langen Eck vorbei (13.). Noch klarer war die Möglichkeit, die Luca Palzer nach einem langen Ball von Sönke Meyer hatte. Aber auch der „Flügelflitzer“ verfehlte völlig freistehend den langen Pfosten (27.). Und als das Spielgerät nach einem tollen Solo von Dennis Bergmann durch Nick Scharkowski den Weg ins Tor gefunden hatte, war die Fahne oben – Abseits (31.).

Verago trotzt Bergmann-Anschluss

Die Alsterbrüder schmissen sich in jeden Ball des vermeintlichen Favoriten - und fegten am Ende über diesen hinweg. Foto: Matthias Wenner/SCV

Der Ausgleich lag längst in der Luft, als die stark kämpfenden, ackernden und sich in alles werfenden Alsterbrüder das Geschehen mit dem Pausenpfiff auf den Kopf stellten. Erneut schaute der Gast nur zu, wie Duve einen lang gezogenen Freistoß aus dem rechten Halbfeld von Kapitän Felix Niebuhr aus gut zwölf Metern über Hendrik Rabe hinweg ins linke Toreck schädelte – 2:0 (45. +1)! Victoria in jener Situation in klarer Überzahl, aber ohne jegliches Zupacken. Halbzeit!

Die ersten fünf Zeigerumdrehungen des zweiten Durchgangs spielten sich ausschließlich in der Hälfte der Alsterbrüder ab. Oder anders gesagt: Im, am und um den Strafraum des Liga-Neulings. Nick Scharkowski scheiterte noch an Moritz Junge (47.), aber Dennis Bergmann schweißte die Kugel nach einem Einwurf trocken in den Knick ein (50.)! Das Powerplay des „großen Muttervereins“ fand den ersten Ertrag und der Startschuss zur Aufholjagd war erfolgt. Aber nur kurz. Sehr kurz! Denn keine 120 Sekunden darauf war es Gian Luca Verago, der einen kurz ausgeführten Standard nach perfekter Flanke von Konrad Janta am zweiten Pfosten unter die Latte nickte – 3:1 (52.)!

Duve glänzt als Viererpacker

Der "Man of the Match" Lennart Duve (Mi.) war kaum vom Ball zu Trennen. Hier versucht Tayfun Can (re.) sein Glück. Foto: Matthias Wenner/SCV

Die fehlende Zuteilung bei ruhenden Bällen wurde Vicky auch danach zum ganz großen Verhängnis. Ecke Niebuhr von rechts, Kopfball von Duve ohne Gegenwehr am „Fünfer“ – 4:1 (67.)! Und damit noch nicht genug. Noch lange nicht! Der überragende Duve sah den gerade erst eingewechselten Benjamin Lerida, der von halbrechts freistehend ins lange Eck einschob - 5:1 (71.)! Dann machte Duve mit einem gänzlich harmlos anmutenden Linksschuss aus 20 Metern, den Rabe durch die Hosenträger flutschen ließ (77.), das halbe Dutzend voll, ehe Janta mit einem satten Strahl aus der zweiten Reihe nach einer herrlichen Lerida-Hereingabe aus vollem Lauf heraus das 7:1 herstellte (79.). Der Wahnsinn hatte einen Namen: FC Alsterbrüder!

"Bin begeistert, wie wir nach vier Niederlagen aufgetreten sind"

Als Lennart Duve seinen verdienten Abgang bekam, verbeugte sich Alsterbrüder-Co-Trainer Peter Gößler vor dessen Leistung. Foto: Kormanjos

„Männer, macht euch mal gerade!“, rief Dennis Bergmann seinen Teamkameraden unmittelbar nach dem 1:5 zu. Doch die Forderungen verhallten. Dass bei den Hausherren hingegen alles klappte, verdeutlichte folgende Szene in der Schlussminute: „Du kannst ja mal einen Kopfball gewinnen, Benji“, trieb Großkopf von draußen den vermutlich kleinsten Mann auf dem Platz, Benjamin Lerida, an. Und siehe da. Nach dem direkt darauffolgenden Abstoß behielt er in der Luft tatsächlich die Hoheit. Das Ehrentor durch Evailton Fernandes für defensiv desaströse Gäste war nur noch Makulatur (83.).

„Erstmal bin ich natürlich begeistert, wie wir aufgetreten sind. Wenn man viermal nacheinander verloren hat, dann hat man natürlich nicht die breite Brust, die man von seiner Mannschaft gerne sehen möchte. Und wenn man das letzte Spiel bei Altona sieht, dann war man auch völlig zurecht der Verlierer. In den Spielen davor gegen Dassendorf, ETSV und Niendorf war immer noch was drin, da haben wir zumindest Torchancen gehabt. Aber Altona war echt böse! Wenn man dann gegen eine richtig gute Mannschaft so wiederkommt, dann freut mich das natürlich. Ich genieße das – und die Jungs genießen das heute auch“, jubelte ein hochzufriedener Großkopf.

"Mentalität gegen Qualität"

Es folgte eine innige Umarmung und ein ungläubiges Schmunzeln bei Gößler (li.), der Duve nach seinem Viererpack herzte. Foto: Kormanjos

Die Marschroute vor dem Derby war klar: „Ich habe gesagt, dass heute Mentalität gegen Qualität spielt. Das heißt gar nicht, dass die Qualität auf des Gegners Seite so überragend und so viel besser ist. Aber die trainieren mit Sicherheit nicht nur zweimal die Woche. Das meine ich damit, dass deshalb auch was anderes zu erwarten ist von der Mannschaft, auf die ich heute sehr stolz bin! Heute genießen wir das, am Donnerstag trainieren wir und dann fahren wir zum nächsten Derby. Da freue ich mich dann auf meinen Heimatverein HEBC und ‚Özzi‘ (Özden Kocadal, Anm d. Red.), den ich sehr schätze.“

Drei Siege in Folge hatte der SCV im Vorfeld verbucht und reiste als Tabellendritter an den „WWP“. Umso größer war die Ernüchterung danach. Coach Joshua Krause musste erst einmal durchschnaufen – während Co-Trainer Philip Dehnbostel zu den kritischen Fragen nach diesem Desaster Stellung bezog: „Wir haben heute Probleme gehabt, Standards zu verteidigen. Das ist eine große Wahrheit.“ Weitere Wahrheiten kamen hinzu. „Was auch von vornherein klar war: Du kannst Alsterbrüder durch eine gute Anfangsphase und relativ ‚straighten‘ Fußball schnell den Stecker ziehen. Auf der anderen Seite: Sobald die im Spiel sind, ist die Hölle los! Und wir haben es in der ersten Halbzeit geschafft, sie relativ ‚low‘ zu halten, auch die Zuschauer waren kaum drin. Die haben zwar geführt, aber man hatte das Gefühl, dass wir am Drücker sind“, so Dehnbostel.

"1:7 zurückzuliegen - das ist keine Option!"

Der FC Alsterbrüder feiert den 7:2-Kantersieg und den ersten Erfolg auf Punktspielebene gegen den "Mutterverein" SC Victoria Hamburg. Foto: Kormanjos

Mit dem dritten Gegentor habe man jedoch „alles entzündet“ und dafür gesorgt, dass sich der Gegner „dann in einen Rausch gespielt hat“. Man habe nicht aufgesteckt, befand Dehnbostel, „sondern wahrscheinlich zu offensiv gespielt, weil wir in die Konter reingelaufen sind. Und ich glaube, man sieht das beim siebten Gegentor: Da hat einfach alles geklappt. Es war relativ klar angesprochen, wie man Alsterbrüder schlagen und wie man sie stark machen kann. Aber wir haben es nicht geschafft, ihnen den Stecker zu ziehen.“

Trotz der erfolgreichen letzten Spiele sei man nicht „auf Wolke Sieben“ geflogen. „Wir haben klar angesprochen, dass das eine Momentaufnahme ist, über die wir uns sehr freuen. Wir sprechen aber immer von einer Reise. Und diese hat aktuell 15 Punkte. Dass wir irgendwann ein Spiel verlieren, dass ist vollkommen klar. Auch, dass wir irgendwann mal Rückschläge erleiden und die schlechtere Mannschaft sein werden – alles gut. Aber: 1:7 zurückzuliegen in der 85. Minute – das ist keine Option! Innerhalb von vier Tagen haben wir das Schönste und das Schrecklichste in dieser Liga erlebt“, fand Dehnbostel klare Worte – und erinnerte an den 3:2-Sieg gegen Meister TSV Sasel.

"Wenn die Standards gut kommen, dann machen wir unsere Tore"

Doch damit zurück zu den Triumphatoren des denkwürdigen Derbyabends. Auch von dem Gegentor direkt nach der Pause hat man sich nicht unterkriegen oder beeindrucken lassen. „Im Pokal haben wir ein bisschen anders gespielt. Aber wir wussten, wie Victoria spielt. Und wir haben denen nicht den Gefallen getan, von unserer Marschroute abzuweichen“, erklärte Großkopf – und fügte an: „Die Konter, die wir gesetzt haben, die waren aller Ehren wert.“ Gleiches galt für die Standardsituationen. „Die waren heute gut“, erwiderte der Erfolgsmacher – und führte aus: „Ich sage es immer wieder: Wenn die Standards gut kommen, dann machen wir damit unsere Tore. Aber die Standards kamen zuletzt zu wenig. Wir müssen uns mehr Zeit nehmen und besser konzentrieren.“ Denn: „Wenn die Standards kommen, haben wir vorne unglaubliche Qualität.“ Und auch ein überragender Lennart Duve „kann auf einmal Kopfball“.