LOTTO-Pokal

Atemberaubende Alsterbrüder: Der „kleine Bruder“ muckt auf und kickt den „Mutterverein“ raus!

13. September 2021, 10:54 Uhr

Überschwänglicher Jubel: Die Spieler und der Anhang des FC Alsterbrüder feiern die Pokal-Sensation. Foto: Küch

„Ich habe der Mannschaft vorher schon gesagt, dass ich ein sehr gutes Gefühl habe“, wollte Gunnar Hitscher mit seinem FC Alsterbrüder gegen den „großen Bruder“ vom SC Victoria Hamburg nicht nur die Pokal-Sensation schaffen, sondern auch „in einen Flow reinkommen“. Der Coach des Bezirksligisten wusste: „Vicky war ein bisschen angeknockt.“ Und: „Wir haben eine Chance!“ Eine Chance, die der Underdog wahrnehmen wollte.

Philipp Dechow (li.) steigt in die zweite Etage und köpft zur 2:1-Führung für den krassen Außenseiter ein. Foto: Küch

„Wir machen kurz vor Schluss das Tor und das Ding ist eigentlich gewonnen – auch atmosphärisch“, sprach Hitscher auf den Moment an, als Stephan Wulf mit seiner vom Tor weggeschlagenen Ecke den Kopf von Philipp Dechow fand. Der „Hüne“ nickte zum 2:1 für den FCA ein und verwandelte den Walter-Wächter-Platz in ein Tollhaus (86.). Dem angeschlagenen Oberligisten drohte der nächste herbe Dämpfer. Doch dann das: Vicky warf noch einmal alles nach vorne. Ein langer Huf, eine Kopfballablage – aber Alsterbrüder-Fänger Moritz Kühn schien da zu sein. Der Keeper rief laut „Torwart“, Verteidiger Dechow duckte sich weg, ehe Nikolas Mallwitz dazwischen spritzte und den Ball zum 2:2 in die Maschen spitzelte (89.). Sollte Vicky doch nochmal mit einem blauen Auge davonkommen?

"Es war klar, dass Moritz einen Elfmeter hält"

„Das war schon bitter“, mussten die Hitscher-Mannen den späten Gegentreffer erstmal wegstecken und verkraften, um sich für das Elfmeterschießen zu wappnen. Aber: „Wir haben halt Moritz Kühn“, wollte der Keeper seinen Fauxpas wieder gutmachen. „Ich wusste, dass er alles daran setzen wird, einen Elfmeter zu halten. Und es war klar, dass er einen hält“, hatte Hitscher vollstes Vertrauen in seinen Schlussmann, der „ja schon eine Erscheinung ist“, und in der Vergangenheit mehrfach und eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat, dass auf ihn Verlass ist. „Und wenn du selbst triffst, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass du gewinnst“, so Hitscher.

Pressel scheitert an Kühn

Vicky-Torjäger Nick Scharkowski (Mi.) war überhaupt kein Faktor. Foto: Küch

Schnell fanden sich zumindest vier Schützen bei den Alsterbrüdern. Und die verrichteten ihr Tagwerk mit Bravour. Tim Algner, Gian Luca Verago, der nach einem überragenden Ballgewinn von Kapitän Jannik Kretschmar und anschließendem Zuspiel von Algner den zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich in der regulären Spielzeit erzielte (45. +1) und sich als letzter Mohikaner der Verantwortung stellte, Noah Freyer, Stephan Wulf sowie Max Janta zeigten keine Nerven und blieben vom Punkt aus cool. Für die Gäste trafen Timo Stegmann, Felix Schuhmann und Nikolas Mallwitz. Aber: Gerrit Pressel scheiterte an Kühn – und somit war klar, dass der FC Alsterbrüder die faustdicke Überraschung tatsächlich vollbracht hatte. Und wieder konnte sich der FCA auf seinen Torsteher, der zuvor noch daneben griff, verlassen. „Wir hatten die Überzeugung, das Spiel zu gewinnen. Das hat man gesehen – und das hat Vicky auch gespürt“, resümierte Hitscher.

"Dass du es mit so einer Überzeugung gewinnst, ist schon gut"

Der späte Vicky-Ausgleich: FCA-Keeper Moritz Kühn (li.) verschätzt sich, Nikolas Mallwitz sagt "Danke". Foto: Küch

Die rund 200 Zuschauer auf dem „WWP“ sorgten für eine unglaubliche Atmosphäre und feierten ihr Team. „Sie haben einen großen Teil dazu beigetragen“, lobte der Alsterbrüder-Übungsleiter den stimmungsvollen Anhang, auf den die Überzeugung der Mannschaft regelrecht überschwappte. „Man kann ein Elfmeterschießen nie dominieren, aber dass du es mit so einer Überzeugung gewinnst, das ist schon gut“, strahlte Hitscher, dessen Schützlinge eigentlich gut in die Partie kamen und dann doch in Rückstand gerieten, als Miguel Gimeno aus halblinker Position trocken einschweißte (32.). Vicky zwar mit mehr Ballbesitz, aber ohne die zündenden Ideen. „In der zweiten Halbzeit waren wir noch ebenbürtiger und haben viele Sachen gut wegverteidigt“, befand Hitscher.

"Fahren überall hin und heißen jeden willkommen"

Vickys Gerrit Pressel (li.) versagten als einzigem Schützen im Elfmeterschießen die Nerven. Foto: Küch

„Die Mannschaft entwickelt sich und durchlebt einen Prozess, dass man auch solche Spiele gewinnen kann. Das macht mich schon stolz, dass wir es heute gezeigt haben und insgesamt auch verdient weitergekommen sind“, jubelte der FCA-Dompteur, der mit den Verantwortlichen des Clubs „an die Grenzen geht“, wie er sagt, über einen „historischen Tag“ Denn: „Wir sind ein Verein, der seine sportlichen Leistungen bringt, immer auch mal jemanden ärgern kann und einfach für die Leute im Viertel da ist. Der FC Alsterbrüder hat sich einst aus dem SC Victoria gegründet. Wir haben also als kleiner Bruder gegen unseren Mutterverein gewonnen.“ Egal, wer nun kommt, „wir fahren überall hin, heißen jeden willkommen – und gucken, dass wir weiterkommen“, hatte Hitscher ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen.

Vicky kassiert nächsten Nackenschlag

Mit vollem Einsatz und purer Leidenschaft hielten die Hausherren dagegen und warfen den Favoriten aus dem Rennen. Foto: Küch

Weniger zum Lachen zumute dürfte Marius Ebbers sein. Nach dem völlig verkorksten Saisonstart und dem desaströsen Auftritt in der Vorwoche beim HSV III (0:3) fand der Coach des SC Victoria bereits deutliche Worte: „Es ist zu einfach, gegen uns Tore zu erzielen. Und es ist zu einfach, gegen uns Tore zu verhindern. Das ist Fakt. Wir können über alles reden und noch und nöcher trainieren. Wenn es im Spiel nicht so umgesetzt wird oder nicht umgesetzt werden kann, dann brauchen wir es auch nicht mehr zu trainieren. Alle Spieler sind Top-Spieler in der Liga. Dazu stehe ich. Aber als Mannschaft funktioniert es einfach nicht. Vielleicht muss man dann auch fragen, ob ich der Richtige bin, wenn man aus so einer Qualität an Spielern nicht die Mannschaftsleistung rausholen kann.“ Und weiter: „Seitdem ich da bin, haben wir immer wieder solche Nackenschläge. Das ist für mich schwierig nachzuvollziehen“, wollte er die Darbietung „erstmal sacken lassen“, stellte aber unmissverständlich klar: „Ich habe Bock auf die Jungs!“

Ebbers sieht "einen Schritt in die richtige Richtung"

Nun aber der nächste herbe Dämpfer für den so ruhmreichen Club, der den Erwartungen meilenweit hinterherhinkt. Umso überraschender waren die Worte, die der Ex-Profi nach dem Ausscheiden fand. „Leidenschaft und Engagement waren da. Wir haben unsere Chancen nicht genutzt“, erklärte Ebbers gegenüber dem „Abendblatt“ – und sagte weiter: „Das war für uns trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung.“ Ein Satz, der nach der neuerlichen Niederlage gegen einen zwei Klassen tiefer spielenden Gegner und angesichts der augenblicklichen Situation an der Hoheluft eher unpassend sein dürfte…

Autor: Dennis Kormanjos

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