„Keinen Wackelpudding erzwungen“: Der „kleine Retter aus Prag“ beschert Niendorf Stimme und Stimmung

NTSV vermiest Altona mit 3:0-Sieg den Sprung an die Tabellenspitze der Oberliga

02. Dezember 2018, 19:07 Uhr

Mit vollem Einsatz gestoppt: Altonas Abdullah Yilmaz (re.) bringt Kilian Utcke zu Fall. Foto: Genat

Mal Hand aufs Herz, liebe Leser: Wie viele kenne eigentlich noch Karel Gott? Den Mann, der damals die Erkennungsmelodie der „Biene Maja“ trällerte und aufgrund seiner Herkunft gerne als die „goldene Stimme von Prag“ tituliert wird. Nun, beim Niendorfer TSV haben sie, zugegeben erst seit kurzem wieder, auch eine Stimme aus Prag – eine laute, bass-lastige. Die Rede ist von Jörg Steinbach, einst schon einmal Co-Trainer unter Ali Farhadi und dann entschwunden – gen Prag eben. Am heutigen Sonntag stand Steinbach nun wieder Seite an Seite mit dem NTSV-Coach und Assistent Hubertus Reinecke im Spiel gegen Altona 93 (Hier gibt’s den Live-Ticker des Matches zum Nachlesen) an der Linie. Und der große, breitschultrige, lautstarke Mann wirkte Wunder...

„Er hat uns damals verlassen, weil er bei Dukla Prag eine Anstellung als Torwart- und Defensiv-Trainer bekommen hat. Er pendelt zwischen Prag und Hamburg. Im Moment wird er dort mehr oder weniger nicht gebraucht – dann hilft er hier, weil er ein guter Freund von uns ist. Marcus Scholz (Niendorfs Manager, Anm. d. Red.) und ich hatten in der vergangenen Woche ein Gespräch mit ihm. Wir hatten damals eine unglaublich geile Zeit mit ihm. Er hat sich direkt angeboten, jetzt zu helfen. Jörg war immer auf Standby. Er hat schon vorm Pokalfinale Marcel Kindler vier, fünf Wochen lang mit individuellen Einheiten fit gemacht. Er ist unser kleiner Retter“, erklärte NTSV-Coach Ali Farhadi und lachte: „Man muss sich an ihn gewöhnen. Wenn er hinter einem schreit, hast du schon mal das Gefühl, dass dir vorne die Kontaktlinsen rausfallen.“

Farhadi: „Wir haben im Kollektiv das gemacht, was wir in den letzten Wochen nicht getan haben“

Alle herkommen zum Jubeln: Die Spieler des Niendorfer TSV freuen sich über die drei Tore und die drei Punkte. Foto: Genat

Zumindest sorgte Steinbach, der Lennart Merkle ein ums andere Mal ebenso wie Dario Streubier verbal unüberhörbar von außen eintrichterte, sie seien „absolute Weltklasse“, der Kilian Utcke aufforderte endlich mal „die Panzerfaust rauszuholen“, Oliver Doege zum „richtigen Chef“ adelte und nahezu jede gelungene Aktion mit einem lang gezogenen „guuuuut, jetzt geht’s aaaaab“ kommentierte nicht nur für Unterhaltung, sondern auch dafür, dass die Gastgeber von Anfang an wach waren – und über 90 Minuten in ihrer Konzentration auch nicht nachließen. Das Resultat? Nun: ganz einfach herausgespielte Tore. Merkle bediente Leon Meyer nach acht Minuten bei einem Konter zum 1:0, beim 2:0 spielte Meyer am Ende eines schnellen Angriffs den Pass auf Merkle, der zum 2:0 vollendete (25.) und beim 3:0 in der zweiten Minute der Nachspielzeit steckte der zuvor eingewechselte Lion Jodeit auf den ebenso gerade erst in die Partie gekommenen Dominik Boettcher durch. Damit war sicher: Der AFC konnte den Ausrutscher der TuS Dassendorf, die gestern daheim dem SC Victoria mit 0:1 unterlag, nicht nutzen und überwintert als Tabellenzweiter statt als Primus.

„Immer hier. Der Platz ist doch verflucht...“, ärgerte sich dementsprechend Altonas Keeper Tobias Grubba, der wütend seine Wasserflasche auf den nassen grünen Rasen feuerte, ehe er zu seinen Teamkollegen im Mannschaftskreis stieß und eindeutig das ODDSET-Pokalspiel aus der vergangenen Saison im Kopf hatte, das der AFC damals auf dem Rasen am Sachsenweg ebenfalls ohne Erfolg beendete. Selbiges Match spukte auch durch die Gedanken von Berkan Algan. Nicht nur aufgrund der neuerlichen Niederlage, sondern wegen einer anderen Duplizität der Ereignisse, wie er fand. „Es ist kein Vorwurf an den Schiri, aber wir haben hier damals schon beim Pokalspiel merkwürdige Sachen erlebt. Heute war es genauso. Ohne eine Beurteilung der Leistung abzugeben: Es wurden zig Angriffe durch Fouls unterbunden, aber er hat dafür kaum Gelbe Karten gezeigt. Niendorf hat das schlau gemacht. Der Schiedsrichter hätte einfach früher ein Zeichen setzen müssen gegen diese Fouls. Wie ich gehört hab' hatte Niendorf zuletzt Pech mit Schiris. Diesmal hatten sie Glück“, bilanzierte Algan und hatte wohl die Spielleiter-Kritik seines Trainerkollegen Ali Farhadi nach dem Spiel des NTSV gegen die TuS Dassendorf noch im Kopf.

Algan: „Wir waren arg gebeutelt, die geistige Frische und Mentalität fehlte“

Einen Schritt schneller: Niendorfs Magnus Hartwig (vo.) ist vor William Wachowski und Vincent Boock (re.) am Ball. Foto: Genat

Die Leistung von Referee Dennis Voß (TuS Dassendorf) aber sei „nicht der Grund, warum wir hier verloren haben“, so der AFC-Trainer. „Es lief die gesamte Woche über schon nicht gut bei uns. Wir haben Spieler spielen lassen müssen, die unter extremen Bedingungen ran mussten und Schmerzmittel nehmen mussten, um überhaupt spielen zu können. Wir waren arg gebeutelt“, erklärte Algan, „das hat man gespürt. Es fehlte die geistige Frische und Mentalität. Trotzdem: Die zweite Halbzeit war okay, wir müssen die Dinger nur machen. Wir wissen ja, wie das ist: Du machst ein Tor und dann gibt’s Wackelpudding beim Gegner und es steht 2:2. Diesen Wackelpudding haben wir aber nicht erzwungen. Dass ein, zwei Konter immer durchflutschen, ist klar. Aber wir haben vier Hundertprozentige, die wir machen müssen. Doch wir putzen uns jetzt den Mund ab und es geht weiter“, beschied Algan nach dem Schlusspfiff.

„Das war eine starke Leistung der Mannschaft. Wir haben im Kollektiv das gemacht, was wir in den letzten Wochen einfach nicht getan haben. Wir haben füreinander gekämpft! Wir wollten so wenig Fehler und so viel Richtiges wie möglich machen. Daraus entwickelt sich eine Spielkultur. Die haben wir in den letzten Wochen schleifen lassen. Vielleicht haben wir als Trainer einige Dinge nicht so angesprochen, wie wir sollten“, gab Ali Farhadi im Anschluss an den Sieg seiner Elf zu Protokoll. „Unter der Woche haben wir die Zeit genutzt, gewisse Sachen ernst anzusprechen. Das ist bei den Jungs angekommen. Das, was wir heute gezeigt haben, wollen wir immer abliefern. Wir wollen kämpfen und die Punkte nicht geschenkt bekommen. Wir müssen sie uns nicht schön erspielen. Ich glaube, heute hat alles gut gepasst – vom Rasen bis zur coolen gemeinschaftlichen Leistung“, äußerte Niendorfs Übungsleiter abschließend. Übrigens um einige Töne leiser als Niendorfs „goldene Stimme aus Prag“...

Jan Knötzsch   

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