Oberliga

Mit Alt-Herren-Verstärkung im „Retro-Style“: Vicky trotzt dem Vorurteil – Gehrke gibt „Feuer frei“

03. September 2022, 00:54 Uhr

Vicky Torschütze Luca Ernst (Mi.) wird von Andy Appiah in Manndeckung genommen. Foto: Kormanjos

30.08.2015: Im damals ersten Spiel unter der Regie von Berkan Algan absolvierte Dennis Theißen zugleich seinen bis dato letzten Oberliga-Einsatz. Als Kapitän führte er Altona 93 beim USC Paloma (0:2) auf das Feld, blieb aber zur Halbzeit in der Kabine. Fast genau sieben Jahre später feierte der Defensiv-Routiniert seine Rückkehr in die Hamburger Fußball-Beletage! „Wir sind ein Verein – da unterstützt man sich gegenseitig“, erklärte Theißen, der aufgrund der riesengroßen Personalnot beim SC Victoria Hamburg, wo der 34-Jährige mittlerweile für die erfolgreichen Alten Herren kickt, reaktiviert wurde. Nicht nur das. Theißen gehörte im Gastspiel bei Concordia Hamburg (alle Highlights im ausführlichen LIVE-Ticker) zur Startelf der Victorianer – und spielte so, als wäre er nie weggewesen!

Co-Trainer Mirco Duve-Bergmann (re.), der den urlaubenden Sören Titze als Cheftrainer vertrat, instruiert den ebenfalls reaktivierten Nil von Appen vor dessen Einwechslung. Foto: Kormanjos

„Eigentlich war es schon nach 45 Minuten vorbei“, scherzte Dennis Theißen unmittelbar nach Spielende, als erste Fragen zu seiner überraschenden Rückkehr aufkamen. „Aber gedanklich, wenn du weißt, dass man nur zweimal wechseln kann, darf man natürlich nicht zurückstecken, sondern muss durchhalten. Es war natürlich schön. Die Jungs haben mir aber auch sehr geholfen“, strahlte der einstige Altonaer, der trotz der langen Wettkampfpause auf diesem Niveau nichts von seinem Können eingebüßt zu haben scheint.

Er „coachte“ das Team, schmiss sich in jeden Zweikampf, gewann nahezu jedes Kopfballduell – und hätte seine Leistung beinahe mit dem frühen Führungstreffer für die Gäste gekrönt, als er eine Ecke von Timo Stegmann an die Unterkante der Latte „schädelte“ (4.). Nur ein einziges Mal unterlief dem Innenverteidiger ein fast folgenschwerer Fehler, den Ian-Prescott Claus aber nicht zu nutzen wusste, weil Vicky-Fänger Dennis Lohmann glänzend parierte (73.) und Andy Appiah die folgende Hereingabe über das verwaiste Eckige köpfte (73.). Bis zu jenem Zeitpunkt war Theißen stets da – ganz im Gegensatz zu den Hausherren.

Schlechteste Saisonleistung? "Ja!"

Auf Nachfrage, ob er die schlechteste Saisonleistung seiner Mannschaft gesehen habe, entgegnete Cordi-Coach Stefan Gehrke offen und ehrlich: „Ja!“ Der Grund: „In der ersten Halbzeit haben Mentalität, Laufbereitschaft und Biss gefehlt.“ Grundtugenden, die der neuformierte Regionalliga-Anwärter in den vergangenen Wochen auf den Platz bekam, nun aber vermissen ließ. Zeitweise fühlte man sich an vergangene Zeiten erinnert. An ein Konstrukt aus lauter Individualisten. Während im ersten Durchgang so gut wie gar nichts zusammenlief, riss im zweiten Abschnitt vor allem ein Spieler das ganze Team mit: Immer dann, wenn es gefährlich wurde, war Hischem Metidji an den Aktionen beteiligt.

Arndt vergibt Vorentscheidung

Der einstige Concorde Timo Stegmann (li.) im Duell mit dem späteren Ausgleichs-Vorlagengeber Hischem Metidji. Foto: Kormanjos

Der Linksfuß war es auch, der die Hausherren mit einer starken Einzelaktion vor einer Heim-Niederlage bewahrte. Seine Flanke kurz vor Ultimo nickte Vincent Janelt zum 1:1-Endstand ein (87.)! Zuvor verpassten es die Mannen von der Hoheluft, den Deckel auf die Partie zu machen. Vor allem in der 80. Minute, als der ebenfalls zurückbeorderte Nil von Appen mit einem Traumpass den startenden Jannes Arndt in Szene setzte. Völlig freistehend wählte der Ex-Concorde die Option, für Nick Scharkowski querzulegen, anstatt die Kugel blank vor Johannes Höcker in die Maschen zu befördern. Der Querpass misslang komplett – Vorentscheidung vertagt!

Doch zurück zu Vickys Personalnot: André Monteiro Branco zog sich im Derby beim ETV (1:4) einen Kreuzbandanriss zu und fehlte ebenso wie der letztjährige Concorde Vincent Boock, Dennis Bergmann, Lesley Karschau, Nikolas Mallwitz oder auch der gesperrte Yannick Siemsen. Ein Aderlass, der eigentlich kaum zu kompensieren war. Auch auf der Trainerbank musste der Gast umdisponieren: Da Sören Titze im Urlaub weilt, betreute dessen „Co“ Mirco Duve-Bergmann den SCV – und das mit Erfolg.

"Jeder hat seinen Plan gespielt"

Da Claus die Kugel im Duell der vielen „Ex-Spieler“ auf beiden Seiten gegen Luca Palzer vertändelte und Felix Schuhmann herrlich für Luca Ernst durchsteckte, hieß es nach 19 Zeigerumdrehungen verdientermaßen 1:0 aus Vicky-Sicht! „Die erste Halbzeit haben wir fußballerisch mal wieder verschenkt. Durch einen individuellen Fehler geraten wir zwangsläufig in Rückstand und hatten selbst nur wenig Zugriff“, haderte Gehrke mit dem Auftreten seiner Equipe. „Jeder hat seinen Plan gespielt. Die Mannschaft hat in der Halbzeit die Ansage gekriegt, dass wir jetzt bitte auf den Trainerplan umstellen.“ Und: Es wurde besser. „Die zweite Halbzeit geht – bis auf ein, zwei Kontersituationen – klar an uns.“ Dennoch reichte es schlussendlich nur zu einem Unentschieden, da Vicky vorher nicht den Sack zumachte.

„Ich habe es eben auch auf dem Platz gesagt: Wir haben den Jungs lange genug das Vertrauen ausgesprochen. Nächste Woche müssen sich dann alle beweisen. Und dann wird mal Feuer frei gegeben“, will Gehrke die Zügel anziehen. „Wir haben heute in 80 Prozent der Situationen die fußballerisch falsche Entscheidung getroffen und hatten so viele technische Fehler drin, dass man das irgendwann nicht mehr auffangen kann.“

Triumph mit der Alten Herren, Rückkehr in die Oberliga

Nil von Appen (Mi.) kommt für Gerrit Pressel, der mit seinen Standards immer wieder für Gefahr sorgte. Foto: Kormanjos

Ganz im Gegensatz zu Dennis Theißen. „Solche Spiele, die so eng sind, bringen einfach Spaß. Das ist genau mein Ding. Schade, dass wir uns nicht mit einem zweiten Tor belohnt haben. Stattdessen hatten wir eine Unkonzentriertheit hinten drin – und dann hat Cordi die Qualität. Bei uns fehlte dann vielleicht etwas die Routine, die Räume besser zu bespielen, weil wir natürlich überhaupt nicht eingespielt waren. Aber es hat Spaß gemacht und ich glaube, solche engen Spiele will man auch in Hamburg sehen“, resümierte der „Comebacker“, der in der vergangenen Saison bereits ein ums andere Mal „die jungen Spieler in der U23 ein bisschen unterstützt“ habe. Ansonsten ist Theißen inzwischen schon seit vier Jahren für die Alten Herren aktiv und feierte mit dem Team am vergangenen Wochenende den Gewinn der Norddeutschen Meisterschaft.

"Da würde die Familie zu Hause streiken"

Der Bezug zur Liga-Mannschaft: „Man kennt sich und sieht sich jeden Mittwoch auf dem Platz. Letztes Jahr hat auch ‚Lohmi‘ (Dennis Lohmann, Anm. d. Red.) mal bei uns ausgeholfen. So gehört sich das in einem Verein.“ Ist nach dieser starken Vorstellung denn an eine dauerhafte Rückkehr in den Oberliga-Kader zu denken? „Da würde die Familie zu Hause streiken“, erstickte Theißen die Pläne umgehend im Keime. „Wenn man Hilfe benötigt, dann immer gerne. Aber ich bin jetzt platt, muss erstmal generieren und am Sonntag dann schon wieder für die Alte Herren spielen.“ Von seiner „Cleverness“ hat er jedenfalls nichts eingebüßt oder verlernt. Aber: „Hintenraus gehen dann ein bisschen die Körner weg.“ Am Ende hatte Dennis Theißen aber noch genug Reserven im Tank…

Autor: Dennis Kormanjos