Oberliga

TuRa sieht Rot, Niendorf spielt gebeutelt „Gross“ auf: „Draußen steht eine Startelf, aber es juckt niemanden!“

16. Februar 2024, 23:40 Uhr

Der Niendorfer TSV feiert und bejubelt den 5:0-Auswärtssieg bei einem sonst so heimstarken TuRa Harksheide. Foto: NTSV

„Wir lassen alle den Kopf hängen! Kommt, Brust raus!“, machte TuRa-Kapitän Leonard Mai seinem Unmut unmittelbar nach dem 0:2 lautstark Luft – und forderte zugleich eine andere Einstellung. Aber: Es war einfach nicht der Abend von Oberliga-Überraschungsteam TuRa Harksheide! Gegen einen personell arg dezimierten, aber unglaublich bissigen und griffigen Niendorfer TSV sahen die Mannen vom Exerzierplatz schon in den ersten 45 Minuten überhaupt kein Land (alle Highlights im LIVE-Ticker). Ganz im Gegenteil. Bei den immer wieder mit Schiedsrichter-Entscheidungen hadernden TuRanern machte sich der Frust insbesondere bei Fabian Jacobs bemerkbar. Nach einem Foulspiel und der Gelben Karte ging er emsigen Schrittes auf Referee Enrico Zielinski (SC Wentorf) zu, stellte sich Kopf an Kopf mit dem Unparteiischen und schimpfte lautstark. Die Konsequenz: Gelb-Rot (37.)!

Die Hausherren, ohne ihren urlaubenden Cheftrainer Jörg Schwarzer angetreten, waren einfach nicht wach und wirkten gegen sehr griffige Gäste irgendwie abwesend. Bereits nach 180 Sekunden konnte TuRa einen Halbfeld-Freistoß vom Mann der ersten Halbzeit, Falk Gross, nur unzureichend klären. Fynn Huneke setzte den „Rebound“ aus 14 Metern trocken ins linke Toreck (3.). Der NTSV auch in der Folge viel aggressiver: Ein provozierter Ballverlust, schnelles Umschalten – und Ibrahim Ali mit dem Auge für Gross, der aus 15 Metern wuchtig in den linken Winkel traf (27.). Gross war es auch, der nach der Roten Karte gegen frustrierte Harksheider den Ball gegen einen in dieser Szene sehr nachlässigen sowie fahrigen Falk Schmidt eroberte und freistehend veredelte (43.)!

"Haben gegen Niendorfs Intensität überhaupt nicht gegenhalten können"

Die riesengroße Riege an verletzten Spielern (re.) beim Niendorfer TSV klatscht einen freudestrahlenden "Doppelpacker" Ibrahim Ali (Mi.) nach dessen Auswechslung ab. Foto: Kormanjos

Was war nur mit TuRa los? „Wir haben das gleich in den ersten Minuten gemerkt, dass Niendorf intensive Zweikämpfe geführt hat, wach war und da war. Wir haben das Spiel überhaupt nicht annehmen und gegen die Intensität des Spiels, die Niendorf uns aufgezwungen hat, gar nicht gegenhalten können“, brachte es Co-Trainer Elbasan Latifaj auf den Punkt. „Das war so ein Überbleibsel aus der letzten Saison, was immer mal wieder auftaucht. Das hat man in der Hinrunde gegen Altona (0:5, Anm. d. Red.) gesehen – und heute wieder. Natürlich sind wir mit der Entwicklung der Mannschaft sehr zufrieden. Aber vielleicht hat genau das dazu geführt, dass der eine oder andere glaubt, dass wir da, wo wir stehen, jetzt schon angekommen sind. Heute hat Niendorf uns aufgezeigt, dass dazu mehr gehört.“

Ali schnürt Doppelpack

Wahre und sehr zutreffende Worte von Latifaj, dessen Mannen im zweiten Durchgang in numerischer Unterzahl sowie mit einem 0:3 im Gepäck eigentlich nur noch auf Schadensbegrenzung aus sein konnten. Aber es kam noch bitterer. Wieder sorgte eine Gross-Ecke für Konfusion im Sechzehner der Norderstedter. Ali schädelte den Abpraller per Bogenlampe ins lange Eck (53.), ehe der Doppeltorschütze der Vorwoche eine Stafette über Gross und den eingewechselten Noha Katanga zum krönenden Abschluss brachte (72.)! Dem vorausgegangen war jedoch ein Zusammenprall zwischen Clifford Aniteye und Nico Schluchtmann. Beide TuRaner hielten sich die Köpfe und mussten länger behandelt werden. Doch „Ref“ Zielinski – mit einigen umstrittenen und merkwürdigen Entscheidungen – ließ weiterlaufen. Unstrittig war der rote Karton gegen Jannick Lütjens nach einer unnützen Notbremse in der Schlussminute gegen den durchgebrochenen Marijo Saric (90.).

"Ich bin jedes Wochenende beeindruckt"

Niendorf-Coach Ali Farhadi lobt seine Mannen nach dem bärenstarken Auftritt am Exerzierplatz. Die "Sachsenwegler" festigen Platz drei. Foto: Kormanjos

Daran lag‘s im Endeffekt aber nicht, dass Harksheide am Exerzierplatz mit 0:5 unter die Räder kam und in einem Spiel beinahe so viele Gegentore kassierte, wie im gesamten Saisonverlauf vor heimischer Kulisse (7). Niendorf trotzte den Ausfällen der absoluten Leistungsträger Tobias Grubba, Daniel Brückner, Lennard Speck, Leon Meyer, Linus Meyer und Ante-Akira Kutschke eindrucksvoll. „Ich bin jedes Wochenende beeindruckt“, strahlte Ali Farhadi auf Nachfrage über das ganze Gesicht. „Wir haben hart gearbeitet, sind fleißig – und ja, draußen steht eine Startelf, aber es juckt niemanden auf dem Platz! Natürlich kann es auch mal wieder schiefgehen. Das gehört zum Fußball dazu. Aber wir wollen jedes Wochenende das abliefern, was wir mit einem großen, breiten Kader und einer geilen Jugend können“, so der NTSV-Trainer.

"Haben unsere Qualität komplett ausgespielt"

Etwas überrascht zeigte sich Farhadi von einem „relativ ungeordneten und wilden“ Gegner. „Das Spiel war merkwürdig und crazy – und vom Kopf her monsterschwer für uns. Aber wir sind geduldig geblieben, haben unsere Qualität komplett ausgespielt – und so ist das Ergebnis auch vollkommen in Ordnung“, weil seine „Sachsenwegler“ von Anpfiff weg die richtige Einstellung an den Tag legten. „Wenn man das Hinspiel, was wir sehr blöd, am Ende aber auch zurecht verloren haben, nochmal kurz in Erinnerung ruft, kann das bei den Jungs was auslösen“, drückte Farhadi offenbar den richtigen Hebel, betonte allerdings zugleich: „Wir haben noch nichts erreicht, wollen aber eine coole Rückrunde spielen und ein paar Jungs einbauen, die wir für nächstes Jahr in der Planung haben.“

"Wir sind erwachsener geworden"

Besonders imposant: Der reife Auftritt ohne zahlreiche gestandene „Leader“ auf dem Platz. „Das war wirklich der absolute Wahnsinn. Ich habe ja früher immer vom ‚Kinderfußball‘ gesprochen. Aber wir haben wirklich Schritte gemacht und sind erwachsener geworden.“ Ein Beispiel: Falk Gross. „Wenn man sieht, wie er zurzeit aufspielt, Verantwortung übernimmt und das nicht nur verbal, sondern auch mit seinen Aktionen auf dem Platz, dann ist das schon cool.“ Gleiches galt an jenem Abend für „Ibo“ Ali, Carlos Vaz Baio oder auch den stark arbeitenden Fawaz Kassimou. „Ich bin einfach froh, dass ich hier ein Gerüst habe, auf das ich mich immer verlassen kann. Aktuell funktioniert es. Jetzt klopfen wir ein bisschen auf Holz – denn es soll so weitergehen“, richtete Farhadi den Blick abschließend nach vorne.

Autor: Dennis Kormanjos